Ausstellung über jüdische Flüchtlinge in Shanghai: Rettender Hafen der kleinen Leute
Eine Hamburger Ausstellung widmet sich den 20.000 Juden, die vor der Verfolgung nach Shanghai flohen - und ihrer Dankbarkeit gegenüber einer fremd gebliebenen Stadt.
Es war das "Exil der kleinen Leute" und kaum erste Wahl: Wegen der Entfernung, aber auch, weil man wenig wusste über Land, Leute und Gepflogenheiten.
Wer als Jude spät - also nach der Pogromnacht von 1938 - noch aus Nazi-Deutschland fliehen wollte, für den war Shanghai die letzte Hoffnung: Es war die einzige Stadt, für die kein Visum benötigt wurde, während überall sonst die Grenzen für Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland weitgehend dicht gemacht worden waren.
"Das einzige Land, wo man hingehen konnte, war Shanghai. Da brauchte man keine Visa, nur ein Ticket für das Schiff und einen Pass mit dem ,J' darin", schreibt der aus Hamburg stammende Walter Josef Fraser.
Zu lesen sind seine Worte zusammen mit einer Kurz-Vita Frasers derzeit im Hamburgmuseum, wo noch knapp zwei Wochen lang die Ausstellung "Atmen und halbwegs frei sein" über jüdische Flüchtlinge in Shanghai läuft.
Erstellt wurde sie aus Anlass von 25 Jahren Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und Shanghai, die Anregung für das Kooperationsprojekt kam vom Hamburger Senat.
Dieser ein wenig bürokratisch-interkulturellen Genese wohl ist zu verdanken, dass "Atmen und halbwegs frei sein" so wissenschaftlich wie geradezu rührend bodenständig daher kommt: Da liegen einerseits Briefe, Identitätsnachweise und Dokumente des Jüdischen Hilfskomitees in Vitrinen. Gleich daneben aber hat man eine Original-Laterne aus dem Shanghaier Bezirk Hongkou auf-, eine alte Holz-Haustür eingehängt.
Hongkou war das Viertel, in dem die meisten jüdischen Flüchtlinge lebten. Es war ja gerade nicht die Oberschicht, die da auf die letzte Minute floh, als die Wohlhabenden, so sie denn wollten, längst weg waren.
Es traten zumeist Mittellose die Reise nach Fernost an, wo sie auf preiswerte Wohnungen angewiesen waren - und die fanden sich eben in dem heruntergekommenen Stadtteil. Auch die Japaner, die China seit Ausbruch des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs 1937 großteils besetzt hielten, forcierten die dortige Ansiedlung der Flüchtlinge.
1943 errichtete das Kaiserreich, inzwischen als Verbündeter Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, in Hongkou ein Ghetto, das die Flüchtlinge nur mit Passierschein verlassen durften.
Die relative Shanghaier Freiheit insgesamt war eher der weltpolitischen Lage geschuldet als einem ausdrücklichen Willen zu helfen: Briten, Franzosen und Amerikaner hatten dort entmilitarisierte Territorien ausgehandelt, die nicht chinesischem Recht unterstanden - und also auch keiner Visapflicht für Flüchtlinge.
"Die meisten betrachteten diesen Ort als Provisorium", sagt Ausstellungskuratorin Sybille Baumbach. Tatsächlich sind die nun auf einer Stellwand platzierten Fotos der Flüchtlinge keine Dokumente einer gelungenen Integration.
Dafür bezeugen sie die extreme Armut der Chinesen: Bettler am Straßenrand, Kinder in zerrissenen Kleidern schauen in die Kamera; daneben eine europäische Dame am aus der Heimat mitgebrachten Tisch.
Es hätte ein "Clash of Cultures" werden können, ein konflikthaftes Zusammentreffen - aber so kam es nicht: "Eine erstaunliche Sache, die ich nicht vergessen kann, ist, dass die Menschen von Hongkou, obwohl sie noch mehr litten als wir, uns immer mit sehr viel Sympathie begegnet sind", hat Jerry Moses später geschrieben.
Unsentimentale Dankbarkeit ist allgegenwärtig in der Hamburger Ausstellung, die sehr deutlich macht, dass die Shanghaier Gesellschaft mit 20.000 Flüchtlingen eigentlich überfordert war.
Jian Chen, Kurator des Shanghai Jewish Refugee Museum, bestätigt, dass chinesische Autoritäten den Flüchtlingen nicht helfen konnten. Die Versorgung besorgten andere: der Jüdische Hilfsfonds, das American Jewish Joint Distribution Committee (JOINT), die Shanghaier jüdischen Gemeinden.
Hilfe hatten sie nötig: Nur wenige unter den Flüchtlingen konnten in Shanghai eine Existenz aufbauen. Die meisten nahmen nach 1945 - auf dem Weg nach Australien, Israel oder in die USA - so wenig mit, wie sie hergebracht hatten.
Und genau hierin liegt der Erkenntnisgewinn der Schau, die ein Film über Wang Faliang abrundet, der in den 30er Jahren in Hongkou lebte und später Führungen durch das Viertel anbot: Die Flucht nach Shanghai war alles andere als ein fernöstlich-exotisches Abenteuer, sondern eine Reise in die Armut mit einem einzigen Zweck: Leben retten.
bis 19. 7., Hamburgmuseum
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