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Ausstellung im Medizinhistorischen MuseumEin Anblick hart an der Schmerzgrenze

"Vom Tatort ins Labor" heißt die neue Ausstellung im Medizinhistorischen Museum der Charité. Sie soll zeigen, was Rechtsmediziner wirklich tun. Für zarte Gemüter ist das nichts.

Wer schon bei dem Anblick kalte Füße bekommt, sollte sich von der Ausstellung lieber fernhalten. Bild: AP, Rothermel

Die Sezierutensilien liegen in einem Holzkasten. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Hammer, Schraubendreher und Zange eines Hobbyheimwerkers. Bis Michael Tsokos die nüchterne Wahrheit referiert, kurz und sehr prägnant: "Messer zum Öffnen von Brust und Bauchhöhle, Säge zum Öffnen des knöchernen Schädeldachs, Rippenschere zum Öffnen des Brustkorbs." Schon da lässt sich erahnen, warum der Direktor des Medizinhistorischen Museums anfangs ein wenig skeptisch war, als Michael Tsokos, der neue Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, mit dem Vorschlag für die Ausstellung zu ihm kam. Tsokos zählt weiter auf: "Schöpfkelle, um Herzblut und andere Körperflüssigkeiten zu finden, verschiedene Scheren, die größeren zum Öffnen von Hohlorganen wie Magen und Darm." Er steht vor dem Werkzeugkasten, in weiß-blauen Hemdsärmeln, Ziernähte auf den Cowboystiefelspitzen, Gel in den grauen Locken. Neben ihm Thomas Schnalke, der Museumsdirektor, mit Brille, grauem Jackett, schlichter schwarzer Jeans. "Schauen wir mal, ob die Öffentlichkeit das aushalten kann", sagt Schnalke.

Am Freitag öffnet die Ausstellung "Vom Tatort ins Labor", Untertitel: "Rechtsmediziner decken auf". Die Museumsmitarbeiter sind mittlerweile alle in erster Hilfe ausgebildet. Es könnte Ohnmächtige geben. In der Dauerausstellung, wo die Schädel und Organ-Präparate aus der Sammlung des Pathologen Rudolf Virchow in Vitrinen lagern, kommt das auch manchmal vor. Besonders bei schlaksigen jungen Männern, sagt Schnalke. Vor allem, wenn sie vor solchen Werkzeugen stehen, diese Schilderungen hören und das irgendwie auf sich beziehen. Es ist alles nicht ganz ungefährlich, der Steinboden im Museum ist hart. Schnalke war anfangs nicht nur deshalb etwas skeptisch.

Es ist zwei Jahre her, da kam der junge Professor Michael Tsokos aus Hamburg nach Berlin, als neuer Chef des Instituts für Rechtsmedizin. Die Zeitungen nannten ihn "Star der Szene". Als er zum ersten Mal durch die Räume des Museums lief, hat er sofort gesagt, dass sie da etwas machen müssen, sich präsentieren als Rechtsmediziner. Tsokos, 42 Jahre alt, packt immer gern an, hat für das Internationale Kriegsverbrechertribunal Leichen in Bosnien und Herzegovina untersucht, war fürs Bundeskriminalamt im Kosovo und nach dem Tsunami in Thailand.

In dem Museum würden sie einmal zeigen, was Rechtsmedizin wirklich war. Nicht dieser Unterhaltungsunfug aus dem Fernsehen, wo Pathologen tagelang an Leichnamen herumforschten, immer mal wieder, wenn den Kommissaren gerade etwas einfiele. Sie würden die Arbeit darstellen, detailreich und schonungslos, wahrheitsgemäß. Man könnte es so beschreiben: Mit naturwissenschaftlichen Mitteln rekonstruieren sie eine Szene aus der Vergangenheit möglichst genau, machen einen Moment wiedererlebbar, sodass Ermittler und Richter ihn wie Zeitreisende besichtigen können. Tsokos sagt: "Spurenbild interpretieren". Er schlug Schnalke die Sache vor. "Zu heftig", fand der. Sie haben dann zusammen darüber nachgedacht, wie sich das machen ließe. Tsokos, der Macher, und Schnalke, der Intellektuelle. Klar würden die Besucher vieles schon aus dem Fernsehen kennen, sagt Schnalke. Aber sie seien da immer noch auf Distanz, in der zweiten Dimension. In den Ausstellungsräumen müsse man sich den Dingen ganz anders stellen, sich mit ihnen auseinandersetzen. Eintritt ist ab 16, an der Kasse wird ausdrücklich noch einmal gewarnt.

Es geht am Eingang eigentlich recht harmlos los. Da ist erst einmal ein nachgebauter Tatort, der ein wenig an ein Laienschauspielbühnenbild aus der Provinz erinnert. Sessel, Kommode, Perserteppich. Auf dem Teppich ein weißes Tuch, darunter schaut eine Hand aus Wachs hervor, zwei Füße. Eine Leichenattrappe. An der Tapete sind Blutspritzer. Die alte Frau ist ermordet worden, erschlagen vermutlich, davon könne man in diesem fiktiven Fall ausgehen, sagt Tsokos. Der Kerzenleuchter liegt auf dem Teppich. Die Blutspuren an der Wand helfen dabei festzustellen, wie genau das Metall den Kopf der Frau getroffen hat.

Mitten im Ausstellungsraum, ein paar Schritte vom Tatort entfernt, steht ein Seziertisch, ein alter aus Stein, weiß und recht breit. Die Dinger würden heute immer schmaler, sagt Tsokos. Dabei wäre das Gegenteil sinnvoller. "Die Leute werden ja immer dicker." Wenn die Leiche vom Tatort zum Seziertisch transportiert worden ist, werden ihr bei der Obduktion alle drei Körperhöhlen aufgeschnitten: Kopf, Brust und Bauch. Proben aus Magen und Därmen kommen in Plastikdöschen, auch Haare für Drogentests.

Kleine Stücke von Herz, Lunge und Gehirn werden auf Glasplättchen präpariert, um sie unterm Mikroskop zu untersuchen. Sind die Organe geschädigt worden? Wenn ja, wie? In einer Vitrine im ersten Ausstellungsraum hängen Werkzeuge, die den Sezierutensilien ziemlich ähnlich sind. Hämmer, Küchenmesser, Zangen. An manchen klebt noch echtes Blut. Es sind Menschen damit umgebracht worden, oder sie haben sich damit selbst getötet. Messer kommen am häufigsten vor.

Erstechen ist auch die Todesursache Nummer 1, wenn es um das geht, was Rechtsmediziner "nichtnatürliche Geschehen" nennen, Unterkapitel "Tötungsdelikt". Bei den natürlichen Geschehen stehen Herzkrankheiten an erster Stelle. Da müssen Tsokos und seine Kollegen klären, ob die Leute wirklich wegen eines Infarkts gefallen sind oder nicht vielleicht doch gestoßen wurden oder vergiftet. Bei den "nichtnatürlichen Geschehen" gibt es neben den "Tötungsdelikten" die Unfälle und die Suizide. Bei den Selbsttötungen wiederum steht "Sprung aus großer Höhe" oder "Erhängen" auf der Ursachenliste ganz oben, sagt Tsokos.

Auf bedruckten Seziertischen sind Fotos von Toten zu sehen, klassifiziert nach Todesart, dazu erklären einige Zeilen kurz die Geschichten hinter den Bildern. Bei manchen der Aufnahmen zeigt sich, was Museumsdirektor Schnalke damit meint, wenn er darauf hinweist, was Andeutungen alles auslösen könnten. Da hängt ein Mann, Mitte 50, auf einem Dachboden. Eine Maske überm Kopf, Latex am Oberkörper, Netzstrümpfe an den Beinen, alles ganz in schwarz. Wie eine Dominoreihe setzt sich beim Betrachter die Assoziationskette in Bewegung. Ein ungewöhnlicher Auffindeort, sagt Tsokos. Man würde zunächst an Ritualmord denken. War es dann aber nicht, er hat sich selbst getötet. Manche der leblosen Körper auf den Fotos hat der Strom verkohlt, auf anderen haben Autos Striemen und Beulen hinterlassen. Hinter jedem Bild und hinter vielen Gegenständen stecken so viele Geschichten und Geschichtchen, jäh abgebrochene Biografien.

Navena Widulin nimmt eine wächserne Brust aus einer Vitrine. Widulin trägt einen blauen OP-Kittel, sie ist die Kuratorin der Ausstellung. Vorher war sie lange Präparatorin in der Pathologie. Widulin hat sich eine Methode ausgedacht, mit der sie wichtige Teile der toten Körper erhalten kann - als eine Art Kopie. Sie fährt zu den Tatorten, macht Abdrücke und gießt Wachs hinein. Das Blut malt sie dann auf die Körperteile, die aussehen, als hätte sie sie aus dem Kabinett der Madame Tussauds geklaut. Die beiden Arme und die Brust, die sie jetzt in der Hand hält, erzählen von den letzten Minuten im Leben einer alten Frau. Sie hat erst versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, dann nahm sie das Messer und stach es sich ins Herz. Es war nicht einfach, sie musste mehrmals ansetzen.

Die Suizide sind manchmal akribisch vorbereitet. So wie bei dem Mann, den sie auf einer Parkbank fanden. Ein Einschussloch, aber nirgends eine Waffe. Zumindest auf den ersten Blick. Nach einer Weile entdeckten sie eine kleine Selbstschussanlage, die er sich für seinen Suizid konstruiert hatte. Das Bild hängt an der Wand im Ausstellungsraum neben etlichen anderen, die vom Arbeitsalltag der Rechtsmediziner erzählen. Der Fotograf Patrik Budenz hat sie gemacht. Tsokos ließ ihn zwei Jahre lang mitlaufen, an die Tatorte, in die Seziersäle und die Labore. Es kommen ständig Leute zu ihm, sagt der Professor. Er ist ein Geschichtenerzähler, er spricht sie auf sein Diktiergerät, im bürokratischen, hölzernen Ton. Und die Autoren, die Drehbuchschreiber, die Filmemacher, sie hätten gerne Material von ihm. Kürzlich hat er sich eine Weile mit dem Bestsellerautor Frank Schätzing unterhalten. Die meisten Anfragen lehnt er sonst ab. Aber auch die Bilder von diesem Fotostudenten Budenz gefielen ihm. Er hat ihm das vor zwei Jahren also genehmigt.

Es ist eine eindrucksvolle Reportage daraus geworden. Sie wäre vermutlich noch etwas eindrucksvoller, wenn man einzelne Erzählungen von Tsokos oder seiner Kollegin Saskia Guddat aufgenommen und zum Anhören angeboten hätte. Guddat kniet auf einem der Fotos neben einer halb verkohlten Leiche. Ein Mann hatte die Frau umgebracht und dann die Wohnung angezündet, um die Spuren im Feuer verschwinden zu lassen. Ein Klassiker, sagt Guddat, aber der Mann hatte Pech: Die Seite mit den Würgemalen war noch komplett erhalten. Es klappt fast nie, das Verbrennen. In diesem Fall hatte der Mann auch noch einen Schlüsselanhänger verloren, auf dem seine Adresse stand. Den fanden sie unter der Leiche. Er ist dann verurteilt worden, obwohl er bis zum Schluss geleugnet hat.

Auf einem anderen Bild ist ein Mann zu sehen, der erst seine Frau umgebracht hat, dann versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden, und schließlich so viel Alkohol trank, bis er starb. Es müssen an die acht Liter gewesen sein, sagt Guddat. Fünf Promille. Die Leute gehen oft auf Nummer sicher, sagt Tsokos. Stellen sich in den Fluss und schießen sich in den Kopf.

Die Geschichten zu Budenz Fotos sind in der Ausstellung nirgendwo nachzulesen. Sie hätten auch streng darauf geachtet, dass die Toten nicht zu erkennen sind, sagt Schnalke. Der Anspruch sei ein didaktischer, sie wollten etwas beibringen, informieren. Man wolle die Besucher ja nicht verschrecken mit Bildern, die sie dann nicht mehr loswürden. Es sollte kein Gruselkabinett werden, sagt auch Tsokos. Er habe eingesehen, dass seine Schmerzgrenze nach über einem Jahrzehnt in der Rechtsmedizin einfach woanders liege als bei anderen Menschen - auch bei anderen Medizinern. Manche Besucher werden sich mit ihrer eigenen Schmerzgrenze erst noch vertraut machen müssen. Vor dem Kasten mit der Rippenschere.

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