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Ausstellung des Fotografen Rimm Rautert

Es gehört zu den Klischees von Fotografie, daß das Handwerk ein ihr gemäßes Objekt sei; fliegende Späne, sprühende Funken und tief gekerbte Werkbänke als Bilder dessen, was „noch“ sichtbar ist. Der Essener Fotograf Timm Rautert hat in den vergangenen acht Jahren jene Arbeitsstätten aufgesucht, die er „Gehäuse des Unsichtbaren“ nennt: Institute, Labors und Produktionsstätten, in denen die Vorgänge verschwunden sind im Apparat der Rechner und der Bildschirme. Dort, wo das Abstrakte Mittel und Gegenstand ist, sind auch die Räume abstrakter geworden, in denen sich Menschen bewegen. Die Computer sind selbst wie kleine Architekturen, deren Fassade — der Bildschirm — Achsen in den Raum legt und deren Rückseite, länglich und standardisiert verkleidet, Platz einnimmt, aber haptisch nichts ist als der Exzeß einer Rückseite.

Damit ist der Antagonismus von Raum und Gegenstand (Behältnis und Ding) aufgelöst; Fenster sind in der Regel überflüssig oder störend. Die Mikrowelt ist nicht mehr symbolisches Doppel der Makrowelt, sondern eine Ableitung, deren Gesetz sich dem räumlichen Blick nur noch bedingt offenbart. Rautert sieht die „Ortlosigkeit“ der Arbeitsplätze, aber er ist nicht versucht, sie zu dämonisieren. Statt dessen versucht er als Fotograf — selbst jemand, der die Miniatur eines Raumes mit sich führt und ausrichtet — die spezifische Atmosphäre kenntlich zu machen. Mit Akribie erfaßt Rautert die geringen Farbnuancen der Lichtquellen und der Objekte.

Bei Mercedes Benz in Stuttgart verschwinden die perlmuttschimmernden Karosserien im Dschungel der orangenen und grünen Maschinen, bei Siemens in München hastet eine weiß vermummte Figur einen steril verkleideten Treppengang hinauf. Im Schlachthof Buchloe fahren gehäutete, kopflose Schweine durch matt glänzende Edelstahlapparaturen; im Klinikum Großhadern sieht man den Oberkörper und Kopf eines älteren Mannes unter der Apparatur einer Intensivstation — seine Haut im Neondeckenlicht — als ein irritierendes Symbol von etwas Individuellem, das buchstäblich fast verloren ist.

Die Ausstellung im Ruhrlandmuseum Essen zeigt die Fotografien wiederum in einem kühlen, fast klinischen Ambiente; einige Bilder, sehr groß gemacht, vermitteln etwas von der nervösen, technischen Atmosphäre jener Orte, die für viele Menschen unzugänglich und auch unvorstellbar sind. Nicht ohne Schaudern muß man an die Forderung der Moderne denken, Form und Funktion zu vereinen: In den Gehäusen des Unsichtbaren sind sie fast undurchdringlich verwoben. Foto: Timm Rautert, Max Planck Institut für Plasmaphysik, Garching 1988 (Katalog).

„Gehäuse des Unsichtbaren“, Ausstellung bis zum 3. Mai 1992 im Ruhrlandmuseum Essen.

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