Ausschuss soll Verdacht gegen Roma klären: Öffentlicht stigmatisiert
Das Terrortrio NSU ermordete eine Polizistin, Sinti und Roma wurden von den Ermittlern dafür verdächtigt. Nun fordert der Zentralrat Aufklärung.
BERLIN taz | Der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma fordert den Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) auf, die zeitweise Falschverdächtigung von Angehörigen ihrer Minderheit im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter zu untersuchen.
Das verlangt der Zentralratsvorsitzende Romani Rose in einem Brief an den NSU-Ausschussvorsitzenden Sebastian Edathy (SPD), der der taz vorliegt. Er erhoffe sich eine „Erklärung zur Rehabilitierung unserer Minderheit“, schreibt Rose, „nachdem sie in dieser Sache vor allem in den Jahren 2007 und 2008 bedauerlichen, schwerwiegenden öffentlichen Stigmatisierungen ausgesetzt wurde“.
Kiesewetter war im April 2007 erschossen worden. Wie man heute weiß, war sie das zehnte NSU-Opfer. Viereinhalb Jahre lang ermittelte die baden-württembergische Polizei ergebnislos in verschiedene Richtungen. Weil sich in der Nähe des Tatorts Sinti und Roma aufgehalten hatten, rückten auch sie ins Visier.
Befeuert wurde der falsche Verdacht durch eine verunreinigte DNA-Spur, die den Mord mit einer Reihe von Straftaten in ganz Deutschland in Verbindung brachte. Von einem umherreisenden „Phantom“ war in Zeitungen die Rede, mit einer „eventuellen Zugehörigkeit zu einem Clan von Sinti und Roma“. Andere witterten eine heiße Spur ins „Zigeunermilieu“.
"Grundlose Polizeikontrollen"
Wie Zentralratschef Rose in seinem Brief an den NSU-Ausschussvorsitzenden Edathy schreibt, sei nach der Tat eine „massive Stigmatisierung der Sinti und Roma betrieben worden“. In seinen Augen sei dies „durch Informationen aus den Sicherheitsbehörden“ veranlasst worden. „Sinti und Roma – unter ihnen auch viele ältere Leute – wurden in der Folge grundlos massiven Polizeikontrollen unterworfen“, so Rose.
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, hatte zuletzt in einem Brief an den Zentralratschef die öffentliche Falschverdächtigung von Sinti und Roma bedauert. Er könne die „Verstimmung“ über das damalige Geschehen „sehr gut nachvollziehen“, schrieb er Rose. Die Schuld, dass die Täter zwischenzeitlich in den Reihen von Sinti und Roma verortet wurden, sieht Ziercke aber weniger bei den Behörden als bei den Medien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen