piwik no script img

■ Aushänge etc.Zwei Paar Socken

Wer Gewißheit darüber braucht, daß man längst nicht alles aus der Zeitung erfährt, der sollte gelegentlich öffentliche Aushänge in Ämtern und Gerichten studieren. Besonders reichhaltig sortiert ist diesbezüglich das Amtsgericht Schöneberg in Berlin. Ein zugegeben ungewöhnlicher, ja unfreundlicher Lesesaal, dessen Lesestoff aber rasch für Entschädigung sorgt. Neben Vermählungsaufgeboten des Standesamts sowie Hinweisen auf Zwangsversteigerungen und dergleichen hängen hier auch amtliche Dokumente aus, die den Adressaten offenbar nicht zuzustellen waren. Vielfach handelt es sich dabei um Vaterschaftssachen, was traurigerweise die Annahme bestätigt, daß sich die männlichen Erzeuger nachher oft aus dem Staub machen.

Etwas anders freilich liegt der Fall beim Adressaten M., der von einem Freigang offenbar nicht in die Vollzugsanstalt Tegel zurückgekehrt ist. Das ist eine Sache für Fahndungslisten und Steckbriefe, sollte man denken, aber der Aushang im Amtsgericht verweist auf ein ganz anderes Problem. Der Entschwundene hat nämlich ein paar private Dinge im Knast zurückgelassen, die wir, nach bestem Wissen und Gewissen, hier aus dem Gedächtnis widergeben: 2 Paar Socken, 4 Unterhosen, 1 Lederjacke, 1 Jeans, 1 Paar Schuhe etc. Freigänger M., so das Amtsschreiben weiter, wird dringend aufgefordert, sich binnen sechs Wochen zu melden, andererseits sei man gezwungen, seine Habe zu versteigern oder im Falle des zu geringen Werts der Gegenstände sich derer auf andere Weise zu entledigen.

Wir wissen nicht, ob Freigänger M. regelmäßig die Aushänge des Amtsgerichts Schöneberg studiert. Uns jedenfalls ist es ein schöner Beleg dafür, daß die häufige Klage über Behördenwillkür nicht immer gerechtfertigt ist. Der Fall M. und seine Socken jedenfalls ist ein schätzenswerter Hinweis auf die Wertintegrität deutscher Amtsstuben. Harry Nutt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen