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Ausgeschlafen

Nachtzüge sind beliebt. Und doch stellen mehrere Bahnen ihre Verbindungen ein – etwa zwischen Berlin und Paris. Woran es hapert und wie private Unternehmen es besser machen wollen

Gut fürs Klima: Mit dem Nachtzug reist es sich umweltfreundlicher als mit dem Flugzeug Foto: Eva Plevier/imago

Von Nanja Boenisch

Die Leute wollen Nachtzug fahren, da ist sich Anton Dubrau sicher. Dubrau hat vor zwei Jahren das Start-up Luna Rail gegründet, das moderne Kabinen für Nachtzüge entwickelt. Er hat eine Weile in Kanada studiert, wo das Flugzeug oft Reisemittel Nummer eins war. Dubrau wollte weniger fliegen, klimafreundliche Alternativen voranbringen und verschrieb sich dem Nachtzugverkehr.

Doch obwohl Menschen Nachtzug fahren wollen, werden immer wieder Verbindungen eingestellt, von mehreren europäischen Staatsbahnen. Die Schweizer Bahn SBB wollte etwa im April die Strecke Basel–Malmö starten, der Verkauf hatte gerade begonnen – da kürzte der Schweizer Ständerat die Subventionen. Das Projekt wackelt. Die französische Regierung strich die Hilfen für ihr eigenes Bahnunternehmen SNCF; die österreichische Bahn ÖBB verkündete, die Nachtzugstrecken zwischen Berlin und Paris sowie zwischen Wien und Paris ab Mitte Dezember nicht weiter zu betreiben. Die schwedische Regierung unterstützte die Verbindung zwischen Berlin und Stockholm – im Oktober gab sie bekannt, dass sie die Förderung einstellen will. Schwedens Staatsbahn SJ rea­gierte, sie lässt die Verbindung Ende Juli 2026 auslaufen.

Jetzt springen andere ein: RDC Deutschland, eine private Bahnfirma mit Sitz in Hamburg, will weiter Nachtzüge von Berlin über Hamburg nach Stockholm fahren lassen. Schon in den vergangenen Jahren stellte das Unternehmen Züge und Personal für die SJ-Verbindung. Die Strecke von Berlin über Lüttich und Brüssel nach Paris will das niederländische Unternehmen European Sleeper, genossenschaftlich organisiert, ab März 2026 weiter betreiben. Dabei waren sich SNCF und SJ einig: Ohne Subventionen lohne sich der Betrieb nicht, obwohl die Verbindungen beliebt und gerade im Sommer oft schon Monate im Voraus ausgebucht waren. Wie kann es sein, dass sich das nicht rentiert? Und was machen die privaten Unternehmen anders?

Die Liste der Herausforderungen für Nachtzuganbieter ist lang: Die französische und die schwedische Bahn und auch die ÖBB kämpfen mit den sogenannten Produktionskosten. Besondere Liege- und Schlafwagen, Zugpersonal, das über Nacht arbeitet – all das ist vergleichsweise teuer. Zudem passen weniger Menschen in einen Nachtzug. Pro Fahrt können also weniger Fahrkarten verkauft werden.

Die Fahrplantrassen, quasi die Startplätze für einen Zug auf der Schiene, würden außerdem oft erst sehr kurzfristig vergeben, sagt Elmer van Buuren, Mitgründer von European Sleeper. „Wir müssen jedes Jahr um die Trassen kämpfen“, die Schienennetze seien ausgelastet. Das treibe die Produktionskosten weiter in die Höhe.

Run im Sommer, Flaute im Winter

Bei Nachtzügen wiederum werde „das Geld in der Hochsaison verdient“, sagt van Buuren, die Ticketverkäufe in den Sommermonaten müssen niedrige Einnahmen im Winter ausgleichen. Und: Die Bahnbranche in Mittel- und Westeuropa habe sich jahrzehntelang auf schnelle, moderne Triebzüge fokussiert. Die haben, wie die ICEs der Deutschen Bahn, einen eigenen Antrieb und sind eine nicht trennbare Einheit – im Gegensatz zu Nachtzügen, die meist mit Lok und mehreren, flexibel koppelbaren Wagen fahren. Deshalb gebe es schlicht zu wenig nachtzugtaugliche Wagen, erklärt van Buuren.

Trotzdem: Er ist überzeugt, dass sich Nachtzüge wirtschaftlich betreiben lassen. Der Niederländer wollte schon als Jugendlicher Chef eines Zugunternehmens werden – inzwischen ist er Präsident des internationalen Verbands Allrail für Wettbewerb auf der Schiene, die Genossenschaft European Sleeper hat er 2021 zusammen mit Chris Engelsman aufgebaut. „Nachtzüge sind unser Kerngeschäft“, sagt van Buuren – ein Vorteil im Vergleich zu Staatsbahnen, deren Fokus meist auf anderen Sparten liegt.

Doch das Nachtzuggeschäft ist voller Hürden: Die Nachtzugverbindung zwischen Berlin und Paris etwa wurde von der ÖBB betrieben, Tickets waren beim österreichischen Betreiber und auf der Website der Deutschen Bahn buchbar – nicht aber online bei der SNCF. Wenn die Fahrplantrasse noch nicht sicher war, habe die ÖBB den Verkauf der Tickets manchmal nach kurzer Zeit wieder eingestellt oder gar nicht erst begonnen, erzählt van Buuren. „Wir hören dagegen nie mit dem Ticketverkauf auf“, sagt er – zumindest nicht, bevor der Zug wirklich ausgebucht ist.

European Sleeper betreibt seit zweieinhalb Jahren die Nachtzugverbindung von Prag über Dresden, Berlin und Amsterdam nach Brüssel, dreimal in der Woche. Rund 230.000 Fahrgäste hätten den Nachtzug seitdem gebucht. Noch sei auch das nicht wirtschaftlich, sagt van Buuren. Wer einen neuen Nachtzug auf die Schiene bringt, müsse erst mal mit Verlusten rechnen – nach einigen Jahren erfolgreicher Ticketverkäufe rentiere sich der Betrieb aber schon. Van Buuren plant damit, dass die Strecke Prag–Brüssel 2026 wirtschaftlich wird. Mit der neuen Verbindung zwischen Berlin und Paris könne das auch schon 2026, spätestens 2027 klappen. Die Verluste, die zu Beginn entstehen, müssen die Anbieter „irgendwie kompensieren“, sagt van Buuren. Die Lösung seines Unternehmens: das Genossenschaftsmodell. Gerade wirbt European Sleeper dafür, für mindestens 280 Euro Anteile an der Genossenschaft zu kaufen. So oder so sollen die Tickets für den neuen Nachtzug ab Mitte Dezember erhältlich sein, der genaue Fahrplan soll bald feststehen.

Eine andere Idee für mehr Wirtschaftlichkeit ist, pro Fahrt mehr Menschen in den Zug zu bringen. Bahnsteige sind im europäischen Fernverkehr typischerweise 400 Meter lang, da passen etwa 14 Wagen plus Lok hin, sagt van Buuren. Staatliche Anbieter aber hätten das Potenzial nicht immer ausgeschöpft, sie seien teils mit nur halb so vielen Wagen gefahren.

Minikabinen für mehr Komfort

Andererseits verursacht die Bereitstellung von mehr Wagen auch wieder höhere Kosten, erklärt Anton Dubrau. Sein Start-up Luna Rails entwickelt deshalb moderne Minikabinen für eine Person – um pro Fahrt mehr Menschen in den Zug zu holen und Reisenden mehr Komfort zu bieten als in klassischen Liegewagen.

60 Leute sollen so irgendwann in einen Wagen passen, genauso viele wie in Liegewagen mit sechs Pritschen im Abteil, aber eben mit mehr Privatsphäre und Gemütlichkeit. Je mehr solcher Wagen im Einsatz sind, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Züge „tagfähig“ werden, also auch tagsüber fahren und Einnahmen generieren können, sagt Dubrau.

Luna Rails hat nur eine Handvoll Mitarbeitende, in einer Halle der Technischen Universität Berlin bauen sie Modelle ihrer Kabinen. Bis Zugbetreiber die einsetzen können, dauert es noch, erklärt Dubrau. Nächstes Jahr soll ein Prototyp getestet werden. Den Preis für ein Ticket in der komfortablen Minikabine veranschlagt Dubrau bei rund 100 Euro – kaum mehr als ein Flugticket. Laut dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zahlten Reisende im Frühjahr 2025 für einen One-Way-Flug in Deutschland durchschnittlich 67 Euro bei der Fluggesellschaft Wizz Air und bis 130 Euro bei Eurowings.

Dabei entstehen auf einer Reise im Nachtzug pro Person und Kilometer deutlich weniger Kohlendioxid und andere klimaschädliche Treibhausgase als auf einem Flug. In einem Gutachten, das die Beratungsfirma Ramboll im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums noch unter Minister Volker Wissing erstellt hat, ist die Rede von 21 Gramm CO2-Äquivalenten pro Personenkilometer im Nachtzug – auf einem Flug sind es laut Luna Rails 250 Gramm pro Person und Kilometer.

„Die CO2-Einsparung ist das, was uns antreibt“, sagt Gründer Anton Dub­rau. Er hofft deshalb, dass Nachtzüge politisch weiter unterstützt werden. „Subventionen machen schon Sinn“, meint Dubrau, zumindest als Starthilfe. Generell werde der Schienenverkehr in vielen Staaten „strukturell unterfinanziert“, sagt Elmer van Buuren – während der Luftverkehr von Steuerbefreiungen profitiere. Fluggesellschaften zahlen etwa keine Energiesteuer auf den Flugkraftstoff Kerosin, internationale Flugtickets sind von der Mehrwertsteuer befreit.

Die Europäische Kommission hat sich vorgenommen, das Nachtzugnetz zu stärken und die Buchungen zu vereinheitlichen. Für 2026 plant European Sleeper noch eine neue Nachtzugverbindung zwischen Amsterdam und Barcelona, das tschechische Unternehmen will Ende 2026 das belgische Ostende mit Bratislava per Nachtzug verbinden, die dänische Bahn DSB und CD aus Tschechien wollen die nächtliche Verbindung zwischen Kopenhagen und Hamburg über Berlin und Dresden bis Prag verlängern. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung kommen Nachtzüge hingegen nicht vor, die Deutsche Bahn hat ihr eigenes Nachtzugangebot schon vor rund zehn Jahren komplett eingestellt.

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