Ausgenutzte Ressourcen

Rund ein Dreivierteljahr nach Einführung bilanziert die schleswig-holsteinische Landesregierung ihr Programm „Jede Stunde zählt“

aus KielTimm Schröder

Als Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsieck-Rave (SPD) gestern in Kiel die Zwischenbilanz der Initiative „Jede Stunde zählt“ vorstellte, hatte sie allen Grund zur Zufriedenheit. Immerhin konnte der Unterrichtsausfall mit dem Mitte vergangenen Jahres eingeführten Programm zumindest an Grundschulen von durchschnittlich fünf auf rund ein Prozent gesenkt werden. Rund 24,2 Millionen Euro hat das Bildungsministerium bis 2005 für die Initiative bereitgestellt, gut angelegte Mittel, wie Erdsieck-Rave findet: „Die Bilanz ist ausgezeichnet.“ So ausgezeichnet ist sie allerdings nur, weil auch die Schulen ihren Teil zum Programm beigetragen haben.

Rund die Hälfte des Unterrichtsausfalls nämlich haben die Schulen selbst aufgefangen. Das gelang mit einem so genannt „modernen Vertretungsmanagement“ und dem „Ausnutzen der eigenen Ressourcen“, wie es die Bildungsministerin formulierte. Im Klartext: Die Lehrer und Lehrerinnen haben Überstunden geschoben. Bis zu drei zusätzliche Stunden unterrichten Lehrkräfte im Land ohne Lohnausgleich. Außerdem wurden viele Fortbildungen in die unterrichtsfreie Zeit, etwa am Wochenende, verlegt. Auch das ist ein Zugeständnis des Personals.

Das Ministerium stellte mit Hilfe der Millionen des Programms vor allem Vertretungskräfte ein. „Diese Möglichkeit wurde von Schulen und Schulämtern intensiv genutzt“, so Erdsieck-Rave. Rund 500 Verträge konnten bisher abgeschlossen werden, vor allem mit „qualifizierten Kräften“. Aber auch Studierende mit dem ersten Staatsexamen wurden als Aushilfskräfte engagiert, wenn ihre fachliche und pädagogische Eignung ausreichte.

Dass das offensichtlich nicht immer der Fall ist, ist der Hauptkritikpunkt der Gewerkschaft für Erziehung und Bildung (GEW) am Programm „Jede Stunde zählt“. „Die Quantität steht im Vordergrund“, so GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer, der die Initiative trotzdem einen „absoluten Fortschritt“ nennt. Natürlich aber sei man bei der GEW nicht begeistert, wenn Studierende direkt von der Universität als Aushilfslehrer verpflichtet würden. „Aber das ist immer noch besser, als wenn der Hausmeister einfach die Vertretungsstunden gibt“, sagt Schauer. Außerdem sei das Programm für erhöhte Belastungen der Lehrerinnen und Lehrer verantwortlich, vor allem durch die „ausufernde Anordnung von Mehrarbeit“ an manchen Schulen.

Kritisch sieht die GEW auch, dass bei der Diskussion um den Unterrichtsausfall die Qualität des Unterrichts unberücksichtigt bleibe: „Wenn eine Lehrerin zwei Klassen gemeinsam beaufsichtigt, fällt kein Unterricht aus. Der pädagogische Nutzen scheint aber sehr zweifelhaft.“

In die gleiche Kerbe schlägt auch die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Sylvia Eisenberg, die die Bilanz der Bildungsministerin „reine Augenwischerei“ nennt. Eisenberg sieht die Qualität des Unterrichts vor allem dadurch gefährdet, dass die Vertretungsstunden nicht von Fachlehrern gegeben werden. „Den Schulen fehlen noch immer etwa 1.200 zusätzliche Lehrerstellen“, kritisiert Eisenberg das ihrer Meinung nach mangelhafte Engagement des Ministeriums.