Ausgehen und rumstehen von Verena Harzer: Zartblaue Koi-Karpfen als Wackelpudding
Penis-Nudeln mit Sahnesoße, auch immer ein sehr gutes Geburtstagsgeschenk. Das hatte meine Freundin kürzlich am Telefon zu mir gesagt. Aber leider gebe es ja den Beate-Uhse-Laden am Bahnhof Zoo nicht mehr. Dort konnte man die immer kaufen.
Daran muss ich denken, als ich an dem Neubau vorbeiradle, der inzwischen neben dem Bahnhof Zoo steht. Ich bin auf dem Weg zum „Gallery Weekend Festival“. Das Gebäude mit dem Beate-Uhse-Laden wurde schon vor einiger Zeit abgerissen. Statt der sogenannten „Schmuddelecke“ jetzt also „Primark“-Discounter-Schick.
Kurz darauf: Genital-Landschaften, fliegende Vaginas und Füchse, die Frauen mit Rettichen penetrieren. Die Künstlerin Ana Prvački glüht vor Freude, als sie ihre Shunga-Sammlung präsentiert: Erotische Zeichnungen aus der japanischen Edo-Zeit, etwa von 1600 bis 1850. Es sei das erste Mal, dass sie ihre Sammlung einem größeren Publikum zeigt, sagt Prvački. Sie steht hinter der Bar im ehemaligen Hotel Mondial am Ku‘damm. Hier findet das „Gallery-Weekend-Festival“ statt. Zwei Tage lang Kunst und Performances im 80er-Jahre-Ambiente. Das Hotel Mondial teilt übrigens das gleiche Schicksal wie der Beate-Uhse-Laden: Bald soll an seiner Stelle ein modernes Büro- und Geschäftsgebäude stehen. Kurz vor seiner Schließung hatten Hotelangestellten einen Miniatursarg samt Grabkerze in einer der Glasvitrinen in der Lobby ausgestellt.
Jetzt sind dort fleischfressende Pflanzen zu sehen. Keine echten, sondern von dem Künstler Gerrit Frohne-Brinkmann aus glasierter Keramik nachgebildete. Ihre rot glänzenden, weit geöffneten Münder erinnern mich an weibliche Geschlechtsorgane. Ob es denn auch Vulva-Nudeln mit Sahnesoße zu kaufen gab, hatte ich am Abend zuvor meine Freundin am Telefon gefragt. Nein, nur Penisse, hat sie geantwortet.
Aber zurück zu den Shunga-Bildern. Prvačkis Vergnügen während der Präsentation ist unwiderstehlich. Ich kann gar nicht anders, als die pornografischen Darstellungen als wunderschön wahrzunehmen. Sie erzählt, in Japan habe man scherzhaft gesagt, wer eine Shunga besitzt, dessen Haus würde niemals Feuer fangen. Der Grund: Alle im Haus wären immer feucht. Das Publikum lacht herzlich über diese kleine Obszönität. Ich auch. Es geht um Lust. Egal, ob für die Frau oder den Mann. Das mache Shungas so besonders. Und subversiv, sagt Prvački.
Auch der legendäre japanische Maler Hokkusai hat Shungas gezeichnet. Besonders bekannt ist „Der Traum einer Fischersfrau“: Ein riesiger Oktopus hält eine sich ekstatisch zurücklehnende Frau mit seinen Tentakeln umschlungen. Sein Mund saugt an ihren Schamlippen. Ein kleinerer Oktopus hält ihren Kopf, während er sie küsst. Einer seiner Tentakel umschlingt ihre Brustwarze.
Kurz darauf stehe ich im Hof des Hotel Mondial. Die Künstlerin und Foodstylistin Lila Steinkampf hat zartblaue Koi-Karpfen aus Wackelpudding hergestellt. Sie liegen auf runden Spiegelplatten zwischen Grünpflanzen in der Mitte des Hofes verteilt. Einen davon zerteilt sie gerade in kleine Stücke. Mit einem Klecks Sahne und Johannisbeeren in einer Austernmuschel angerichtet, verteilt sie sie an die Umstehenden. Und mich.
Während ich die geschmacklose Glibbermasse runterschlucke, muss ich an den Hokusai-Oktopus und die Genitallandschaften denken. An das Hotel Mondial und den Sarg in der Vitrine. An die fleischfressenden Vulvas. An Beate Uhse. Und an Berlin. Und mir wird klar: Das mit dem Sex, der weiblichen Lust, dem Tod und der Vergänglichkeit – da muss ich unbedingt nochmal drüber nachdenken. Oder vielleicht einfach lustvoll eine Portion Penis-Nudeln mit Sahnesoße verschlingen.
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