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Ausgehen und rumstehen von Stephanie GrimmIn Kunsthäusern und Kirchen Leute gucken und der Musik lauschen

Den Saisonstart des immer wieder schönen Kiezsalons hatte ich verpasst. In Potsdam bietet sich ein paar Tage später eine weitere Gelegenheit. Dort nämlich bespielt die nomadische Veranstaltungsreihe erstmals Das Minsk, jeden Donnerstag, den ganzen Juni lang. Mal gucken, wie das so ist.

In den letzten Sommern hatte es auch Musikprogramm in dem Kunsthaus gegeben, die Terrasse ist ein einladender Ort für einen Sundowner. Tatsächlich hatten sich dort verlässlich Urlaubsgefühle eingestellt – oder zumindest der Eindruck, weit weg zu sein. Auf der Terrasse zumindest kann man nämlich den Eindruck gewinnen, Potsdam sei so etwas wie das Schwabing von Berlin. Das Düsseldorf des Osten. So viel frisch geföhnten Kulturpeople und Werbefuzzis im gehobenen Einkommenssegment war ich lange nicht begegnet. Lustig zum Leute gucken, aber etwas gefremdelt hatte ich trotzdem.

Diesmal präsentierte sich Das Minsk anders. Beide Konzerte fanden auf der Terrasse auf der Fläche vor dem Eingang statt: urbaner, nicht so lauschig. Auch schienen die Potsdamer Bildungsbürger in der Unterzahl, in Relation zur angereisten Kiezsalon-Bubble. Das Programm erwies sich als anschlussfähig in beide Richtungen. Der erste Act des Abends würde auch in der Philharmonie passen: Der Komponist Sven Helbig, der verschiedene Arten klassischer Musik mit experimenteller Elektronik verbindet, trifft auf das Ensemble Vocalconsort Berlin. Gemeinsam mäandern sie, die vier Stimmen vielfach geloopt, von milder Dissonanz zum dichten Wohlklang.

Für einen Kontrast sorgt das rumänische Synthiepop-Duo „K not K“, welches danach spielt und ihrem Genre ein paar eher ungewohnte orientalische Klänge unterjubelt. Vor ein paar Jahren hatten wir die Band, die von sich sagt, sich beim Musikmachen an Strategien aus dem Schach zu orientieren, schon einmal gesehen, damals nannten sie sich noch „Karpov not Kasparov“ – ein bisschen doof für Leute wie mich, die keine Ahnung von dem Spiel hatte. Wofür stehen bitte diese Namen, die ich zudem dauernd verwechselte? Damals hatten die beiden ihre Freundinnen als Tänzerinnen dabei, über deren Auftritt wir arg uneins waren: doppelbödige Ironie oder sexistischer Kackscheiss? Eine der Tänzerinnen ist inzwischen wohl ein Star in Rumänien, die andere ebenfalls abhanden gekommen.

Dafür haben „K not K“ eine neue Tänzerin dabei, die sich ins Zeug legt und eine Art Polonaise anzettelt. Für alle ist was dabei an diesem Abend! Mal sehen, wie das hiesige Publikum auf die etwas sperrigeren Acts der nächsten Wochen anspringt.

Am Freitag startet dann in Berlin Friedrichshain ein Festival mit dem verheißungsvollen Namen Paradise Must Be Nice. Auch hier ist für alle was dabei: ägyptischer Gesang von Abdullah Miniawy, jazzig grundiert, ebenso wie Punk, der beim Trio Wüt mit Deathmetal kuschelt. Viele Namen aus dem Line-up sind mir noch nie begegnet, was super ist. Das Festivalmotto beim Wort nehmend, finden die ersten Abende in Friedrichshainer Kirchen statt – alles was richtig kracht, muss auf den Sonntag warten, wo man in der Neuen Zukunft gastiert.

Von Stunde zu Stunde wird das Wochenende herbstlicher, mir ist nach Einigeln. Bis mich doch die lichten Abende vor die Tür locken. So schaffe ich es immer erst zum letzten Drittel der Konzerte. Am Sonntag etwa zu den im besten Sinne harschen und wilden PEB. Als ich später vom Südkreuz heimradele, wo in den letzten Wochen verlässlich alle 50 Meter eine andere Nachtigall für die Klangtapete sorgte, ist es sehr still. Auweia, immer früher schleicht sie sich an, die Angst vor dem Ende des Sommers. Erst mal aber soll er richtig anfangen.

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