Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm: Hinten raus ist es schön verwunschen
Auf den Regenradar ist kein Verlass mehr. Selbst in den apriligsten Monaten – die sind ja inzwischen übers Jahr verteilt – hat er mich halbwegs trockenen Fußes ans Ziel gebracht. Aber plötzlich immer wieder: Starkregen – wo es vor einer halben Stunde noch entspannt aussah. Ins Prinzenbad werden sie mich jetzt wohl auch nicht lassen, es hat gerade gedonnert.
Bloß gut, dass ich, als es losplattert, grade an der Berlinischen Galerie vorbeifahre. Dort gibt es „Being, Seeing, Wandering“: beiläufig wirkende, aber mit langem Atem eingefangene Straßenfotografie vom britisch-nigerianischen Fotografen Akinbode Akinbiyi, der seit über 30 Jahren in Berlin lebt. Den 22-Millionen-Moloch Lagos etwa stellt man sich nicht unbedingt als Ort vor, der zum Flanieren einlädt. Doch Akinbiyi macht seit Jahrzehnten genau das. Die Bilder wirken wie verdichtete Kurzgeschichten. Vom Afrikanischen Viertel im Wedding handelt eine andere Serie. Eine weitere von Automaten für Kaugummi, Kondome oder Passbilder. Passenderweise kann man sich vor Ort in einem solchen Automaten fotografieren lassen und sich in Akinbiyis Werk einreihen – zumindest für die eigene Kühlschranktür. Die anderen Bilder auf dem ausgedruckten Bogen stammen dann von ihm.
Freitagabend hat sich der Himmel beruhigt. Die Gaswerk Music Days locken, unter anderem mit der toll verspulten Marina Herlop und dem noch tolleren James Holden. Vor allem, wie ich feststelle, mit lauschigen Gärten, die sich hinter der Gaswerksiedlung verbergen. Wenn ich vorne an der Straßen langfahre, freue ich mich immer über das schräge Panorama in Rummelsburg: erst das Heizkraftwerk, dann die mittlerweile als Ateliers genutzten Siedlungshäuser, die wie ein in die Länge gezogener Wohnblock wirken. Hinten raus ist es gar nicht schräg, sondern schön verwunschen. Und James Holden sorgt mit fiependen Synthesizern für Jauchzen beim Publikum, sein Mitstreiter schafft mit Triangel, Saxofon und mehr den Rest.
An diesem Ort kann man sich zum EM-Finale sicher vor den Horden verstecken. Aber erst mal ruft das Melt-Festival. Als die Nachricht kam, dass diese Ausgabe die letzte sein wird, musste ich mir ein Ticket für die letzte Nacht kaufen – auch wenn ich seit Corona nicht mehr da war und mich schon vorher etwas entfremdet hatte. Lange bot das Melt verlässlich, was man an tollen Konzerten verpasst hatte. Dann nahm das Rave-Geballer überhand, die Vielfalt verschwand.
Vor 20 Jahren waren wir erstmals in Ferropolis zwischen den Braunkohlebaggern. Ganz toll. Und noch eher klein. Nur schlafen konnte man schlecht bis gar nicht. Fürs nächste Jahr suchten wir einen alternativen Zeltplatz und fanden unser Glück am Möhlauer See: eine halbe Stunde bettwärts radeln, unter Bäumen ruhen, am nächsten Abend frisch gebadet zurück aufs Gelände. Für ein gutes Dutzend Jahre machten wir das mal zu zehnt, mal zu dritt.
Seitdem ist einiges zerbrochen oder zerfasert, zudem gab es einen schrecklichen Todesfall. Und so kommt es, dass ich mir ausgerechnet diesen blast from the past allein abholen muss. Na ja, die Geister sind bei mir. Eigentlich ist es schön mit ihnen. Aber auch traurig. James Blake croont dazu: „Say What You Will“. An der Wandgalerie, die 27 Festivaljahre dokumentiert, steht ein junges Paar und guckt Fotos von etwa 2008 an. Es zeigt recht angekämpfte Zuschauer auf der Tribüne. „Krass, wie nett normal Leute damals aussahen“, sagt die Frau, die da wohl gerade in die Schule kam. Was meint sie? Die unmilitärischen Frisuren? Fehlender Glitter? Auch mich verwirrt etwas an dem Bild. Plötzlich fällt der Groschen: Niemand starrt aufs Handy. Vermutlich meinte die junge Frau was anderes. Ich hätte sie fragen sollen.
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