Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka: Mit Pilzen kuscheln in der Rhizosphäre
Heia hussassa, der Herbst ist da. Das Wort „hussassa“ stammt vom mittelhochdeutschen „heißa“, und Letzteres möchte ich wieder mehr nutzen. Zum Beispiel so: Heißa, was war das für ein Wochenende! Einerseits, weil es gut zur Jahreszeit passt, aber auch. weil ich glaube, dass das Mycel unsere Rettung ist (Nahrung! Penizillin! Veganes Leder! Drogentrips!), schaute ich mir am Freitag in der Galerie des Polnischen Instituts die Ausstellung „Verwobenes Leben mit Pilzen“ an. Denn nur der Fungus, dieses irre, eukoryatische Wesen, schlägt eine Brücke zwischen der kleinen Hexe und John Cage, zwischen einem Symbol für Glück und einem für den (Atom-)Tod. Die Künstlerin Teresa Schubert hat ihre Arbeit „Wachsende Geometrien“ statt auf Haut auf (Pilz-)Hut tätowiert.
Geschmackssicher pikt sie weder nackte Meerjungfrauen noch Tribals, sondern geometrische Muster auf Pilzchen, lässt sie weiterwachsen, misst sie und analysiert die Formveränderungen. In Joanna Hoffmanns VR-Arbeit wird man Teil der Rhizosphäre: Man kuschelt sich in einer virtuellen Wurzelwelt an das große Netzwerk aus Sporen. Der Pilz ist eben der König des Networking. Derart angeturnt bestellte ich mir danach eine Pizza Funghi und freute mich über die Koinzidenz, dass der deutsche Kosename für meine Lieblingsband „Die Pilzköpfe“ lautet. Heißa, welch ein Zufall!
Den Rest des Abends verbrachte ich bei der Eröffnung des Mubi-Filmfestivals, das der Indie-Streamer im Silent Green ausrichtete – und nicht nur Kelly Reichardts großartigen letzten Film „The Mastermind“ zeigte, in dem Josh O’Connor den unglückseligsten und dabei hinreißendsten Möchtegern-Heist-Gangster aller Zeiten spielt, sondern auch noch die Regisseurin selbst eingeladen hatte.
Es sei ihr weniger um den Heist, also den so furios vergeigten Kunstraub, gegangen, erzählte Reichardt anschließend. Sondern um die Umstände: Die späten 60er mit ihren kulturellen und politischen Veränderungen, das provinzielle Museumsgebäude, der charmante Tagedieb. Außerdem habe sie einfach mal Bilder des angeblich ersten US-amerikanischen abstrakten Künstlers Arthur Dove zeigen wollen. Danach gondelte man mit Drinks durch das ehemalige Krematorium, während eine junge, hervorragende Band sich an den Rand des Wahnsinns freejazzte.
Samstag lagen auf den Wegen so viele glänzende Kastanien, dass ich am liebsten sofort losgebastelt hätte. Aber diese Männchen braucht ja kein Mensch. Stattdessen fuhr ich zu einer Party, auf der die Gastgeberin nach ein paar Wodka Walzer tanzen wollte, und ihre Playlist dementsprechend änderte. Und, kaum verwunderlich: Das Schwanken im Dreivierteltakt geht sogar noch besser. Sonntag guckte ich „Das Wirtshaus im Spessart“, in dem Polizisten im Schloss der schönen Contessa einen entlaufenen Fake-Räuber suchen, der eigentlich ein Graf ist, dabei verschiedene Türen öffnen und immer rufen: „Hier muss er sein / hier ist er drin / hier drin versteckt sich der schreckliche Wicht/ unter dem Rock / hinter dem Stuhl / Entschuldigung, hier ist er nicht!“
In einer Nebenrolle als Räuber entdeckte ich den späteren APO-Freund Wolfgang Neuss, was wiederum wie die Faust in der Tasche zu der Rio-Reiser-Ausstellung „Ecce Homo“ in der Kreuzberger Browse-Gallery passte, bei der ich anschließend vorbeischaute. Das Beste an der liebevoll kuratierten, mit einem charmant handgemachten Interviewvideo angereicherten Schau sind neben einem politischen Kinderbuch über den Schah-Besuch, das der 18-jährige Rio schrieb und zeichnete, die atmosphärischen 1970er-Kreuzberg-Fotos von Jutta Matthess. Es ist wirklich nicht zu verstehen, dass auf Erster-Mai-Festen nicht mehr sackgehüpft wird. Heißa, Sackhüpfen! Das könnte so gut Aggressionen abbauen.
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