piwik no script img

Ausgehen und rumstehen von Jenni ZylkaDepressive Nixen und das Nachtleben

Zuweilen frage ich mich, wo eigentlich all die Menschen in meinem Alter geblieben sind, die früher neben mir am Tresen hockten. Sind sie tot? Spielen sie Golf? Machen sie gerade irgendwo ihre Asanas? Oder hocken sie einfach nur am eigenen Küchen­tresen beziehungsweise, wie es neuerdings entschuldigend im Freundeskreis heißt, „wenn ich erst mal auf dem Sofa liege …“ Buh! Wieso man freiwillig auf Gesellschaft verzichtet, ist mir schleierhaft.

Obwohl es einem, zugegeben, nicht leichter gemacht wird: Zweimal bin ich in letzter Zeit nicht in Bars gelassen worden, angeblich weil es (und nicht ich, im Gegenteil!) „zu voll“ war. Im Würgeengel blieb ich, gestiefelt und gespornt, mit hängenden Schultern vor der Tür stehen, in die Fahimi Bar wollte der Bouncer mich sogar nur hineinlassen, wenn ich „mit jemandem drinnen verabredet“ sei. „Im Swingerclub wird man anders behandelt, wenn man ohne Begleitung erscheint“, motzte ich ihn empört an. Aber er war zu jung für den Witz.

Am Freitag durfte ich immerhin auf eine Privatparty gehen – da wird man normalerweise immer hineingelassen, Ageismus hin oder her, vor allem weil man vorher eingeladen wurde und wegen BYOB. Solche Veranstaltungen sind demnach großartige Gelegenheiten, billige Sektflaschen loszuwerden, die man zuweilen von geschmacklosen Menschen geschenkt bekommt.

Ich nahm also eine gute (für mich) und eine schlechte (für das Buffet) mit, versteckte die gute den ganzen Abend hinter meiner riesengroßen Handtasche und hatte eine prächtige Zeit mit vielen netten, gleichaltrigen Menschen, die genau wie ich auf Asanas und Golf pfeifen. Und weil gerade ältere Menschen bekanntlich gern kochen und backen, konnte man sich alle halbe Stunde über neue, komplizierte Dinge auf dem Buffet freuen.

Am Samstag in der Komischen Oper war es mit der Freude allerdings schon wieder vorbei: „Bin nicht mehr Nixe, bin keine Frau“, oje, arme Rusalka, bleich und kalt und weiß ist die Meerjungfrau geworden, seit die Hexe Jezibaba ihr den Fischschwanz abgehackt hat – die riesigen Grätenflossen in der dreizehn Jahre alten Dvořák-Inszenierung von Barrie Kosky sind immer noch schwer beeindruckend. Und all das aus Liebe zu einem übergriffigen Prinzen, der den Sex zuerst einfordert und sich einen Dreck um Konsens schert, und seine Geliebte dann, weil der Akt ihm „zu kalt“ ist, vor die Tür setzt. Dabei hätte er sich doch einfach eine Decke überlegen können! Angefixt von der Musik und der Geschichte musste ich an Karel Kachyňas fantastische Verfilmung des Andersen-Märchens „Die kleine Meerjungfrau“ von 1976 denken, mit dem Lied über die „Drei Steine“: Weiß ist der erste Stein /Blendet die Sinne/ Rot ist der zweite/ Er verschließt die Lippen/ Schwarz ist dann der dritte/ Er versteinert Herzen/ Und wer so versteinert ist/ Der spürt nie mehr Schmerzen.“ Oh je, die Liebe ist so traurig! Vor allem die Liebe einer Nixe zu einem Menschen. Und Pescetarier ist der dumme Prinz ganz bestimmt auch, zu allem Überfluss.

Später gab es einen 60. Geburtstag zu feiern, der Jubilar hatte es ebenfalls vorgezogen, nach Hause einzuladen – aber bestimmt nicht, weil er Angst hatte, in dem Alter nicht mehr in die Kneipe zu dürfen.

Alles aus Liebe zu einem übergriffigen Prinzen, der Sex einfordert, sich aber nicht um Konsens schert

Sondern weil er in einer sehr schönen Wohnung lebt, von der aus man direkt auf den Landwehrkanal gucken kann. Was mir einen weiteren Songtext in den Kopf spülte, diesmal von den Einstürzenden Neubauten: „Das trübe Gewässer fließt langsam vorbei/ Schwarz und behäbig und nicht allzu tief/ Behäbig und schwarz, nur einen Menschen tief/ Ich sitze allein am Landwehrkanal“. Kein Wunder, dass die in einer solchen Brühe lebenden Nixen depressiv werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen