Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka: Der Caprese-Effekt
Mist, jetzt ist das letzte Adventswochenende schon vorbei, und ich habe es wieder nicht geschafft, den Berliner Volkshochschulen rechtzeitig meinen „Richtig Rolltreppe fahren“-Kurs anzubieten. Inhaltlich und materialmäßig steht der Lehrgang seit Jahren, ich vermittle mein Herrschaftswissen sogar dreisprachig: „How to ride the elevator“ und „Prendre l’escalateur au bonne facon“ fänden auf Nachfrage ebenfalls statt.
Doch ich hatte im Herbst zu viel zu tun. Und bin somit selbst schuld, dass die von Geschenkkäufer*innen, aus Rolltreppen- und U-Bahnen-befreiten Zonen stammenden Tourist*innen und den üblichen Pinseln dominierten Berliner Adventstage kein Spaß sind. Denn wenn man sich sonst nur auf den Bahnhofsrolltreppen über Linkssteher*innen ärgert, die bestimmt für 30 Prozent aller verpassten Züge verantwortlich sind, allein weil sie nicht begreifen, dass man seinen Rollkoffer auch vor oder hinter sich abstellen kann, so ärgert man sich um die Weihnachtszeit herum vor allem auf den Rolltreppen der Kaufhäuser. Am Freitagabend schlug ich mit harter Hand eine Schneise zwischen drei Pärchen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, die mir im KaDeWe den rollenden Weg in die oberste Etage versauen wollten, weil sie ihre „Ahhs!“ und “Ohhhs! unbedingt nebeneinander in die mit Parfum- und Menschenduftschwaden angereicherte Kaufhausluft pusten wollten. Aber nicht mit mir. Berlin soll ihnen schließlich in Erinnerung bleiben, und allein durch das „gute Essen“ oder die „tolle Aussicht“ klappt das ja eh nicht.
Eventuell könnte das in diesem Jahr allerdings durch die KaDeWe-Schaufensterdeko klappen, absurd genug ist sie: Überdimensionale Themen-Nussknacker stehen wie Albtraumcontent neben Gabentischen, am besten hat mit der gefallen, der laut Infotext Hipster ist, „Maximilian“ heißt, und sich hipstermäßige „rote Hosenträger von Opa“ angezogen hat. Einen Bart trägt der Nuss-Hipster nicht, vielleicht weil die herunterfallenden Schalenstückchen hängen bleiben könnten, ein Problem, dem echte Hipster durch das permanente sinnierende Streichen und Kraulen (in Wahrheit: Lausen) ihrer Bärte begegnen.
Am Samstag probiere ich jedenfalls eine neue Methode aus: Ich schiebe potenzielle Rolltreppenkursteilnehmer*innen, die mir in den abgegrasten Potsdamer-Platz-Arkaden den Weg nach unten versperren, mit einem herzhaften „Merry Christmas!!“ per Hand zur Seite – sie sind so verdutzt ob der Mischung aus Eindringen in ihre Distanzzone und dazu unpassender, verbaler Freundlichkeit, dass ihnen nichts einfällt. Ha. Aber ich muss schnell zu Rewe, Crémant kaufen und damit an die Self-Scanning-Kassen, die nicht wissen können, dass ich (knapp) Ü18 bin, und darum bei jeder Flasche lauthals „Prüfung erforderlich“ tönen, bis ich sie anschreie: Wenn ich noch nicht volljährig wäre, würde ich Alcopops nehmen, du dumme Kasse!!
Es klappt, und der Crémant kann nachmittags mit zu einem ansonsten kekslastigen Adventstreffen. Ich schlage der Gastgeberin vor, angesichts der Diskussion um nachhaltige Tannenbäume doch einfach ihren beeindruckenden Basilikum zu schmücken, der ist tatsächlich fast höher als so mancher Baum, und ein paar rote Kugeln stünden ihm bestimmt gut oder noch ein paar weiße dazu, dann hätte man den Caprese-Effekt. Sie verspricht, darüber nachzudenken, und wir machen uns am Ende des Abends alle auf ins verlässlich gute Kreuzberger Wild at Heart, wo man so gar nichts von Weihnachten mitbekommt. Und wo man sich vermutlich eine fängt, wenn man es wagt, einer der Bedienungen einen Weihnachtsgruß mitzugeben, ich bin sicher, dass die tätowierte Faust bereits bei „Frohe W…“ im Auge gelandet wäre. Ach, herrlich ist es dort. Fröhlich, selig und gnadenbringend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen