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Ausgehen und rumstehen von Jan JekalDie The-Band, die den Schwall an The-Bands losgetreten hat

Vor ein paar Monaten spielten die Libertines in der Columbiahalle, und auf dem Weg dorthin, inmitten der Nazi-Archi­tektur um den Platz der Luftbrücke, sahen wir Pete Doherty. Er war ein wandelnder Berg aus Mänteln und Schals, in der Hand die Leine seines Huskys, die er ständig fallen ließ. Ich sagte hallo, ich hatte ihn vor nicht allzu langer Zeit interviewt, und schon waren wir in ein (sprunghaftes, flatteriges, lustiges) Gespräch verwickelt. Er küsste meine Frau auf beide Wangen und sagte ihr, wie schön ihr Name sei.

Wir streunten in Schlangenlinien Richtung Veranstaltungsort, an diesem Punkt zu einer Menschentraube aus Selfie machenden Konzertgängern herangewachsen, einer von denen führte Dohertys Husky an der Leine. Doherty lud uns hinter die Bühne ein, gab dann aber vor, seinen Backstage-Pass verloren zu haben, wir müssten also über den Zaun klettern, um dorthin zu kommen. Er beugte sich hinab, eine Räuberleiter vorbereitend, und ich hatte meinen Schuh schon auf seiner Hand, als er sagte: „Nein, Spaß.“ Auf sein Zeichen hin öffneten sich die Tore und wir nahmen den Künstlereingang.

Warum erzähle ich das? Weil es a) eine gute Geschichte ist, und ich b) am Freitag wieder in der Columbiahalle war, wieder bei einer der großen The-Bands der frühen Nullerjahre, beziehungsweise bei der einzigen anderen großen The-Band der frühen Nullerjahre, die etwas taugte, und nicht zuletzt bei der The-Band, die den Schwall an The-Bands in den frühen Nullerjahren überhaupt erst losgetreten hatte: The Strokes. Und ähnlich, wie es mir bei den Libertines ging, und vor allem damit, Doherty als ergrauten Mann zu sehen, der bei aller anarchischer Jungenhaftigkeit den Eindruck macht, er befinde sich im letzten Abschnitt seines Lebens, konnte ich mich beim Anblick der ­Strokes nicht gegen sentimentale Anwandlungen wehren.

Wahrscheinlich war es vor allem die Erkenntnis, zwar noch nicht alt zu sein und auch noch nicht mittelalt, aber eben auch nicht mehr jung, und nichts macht die Flüchtigkeit der Jugend wohl deutlicher als mittelalte Männer in Rockstar-Uniform, die Lieder spielen, die sie vor zwanzig Jahren mit zwanzig Jahren geschrieben haben. Weil die Lieder fantastisch sind, war es keine traurige Veranstaltung.

Die Strokes haben ein Dutzend der besten Rocksongs geschrieben, die ich in meinem an Rocksongs nicht armen Leben gehört habe. Natürlich war es euphorisierend, diese Lieder live zu hören, von einer immer noch tighten Band gespielt und einem immer noch charismatisch-schlurfigem Sänger gesungen. Die Namen, die Persönlichkeiten: Julian Casablancas! Fabrizio Moretti! Albert Hammond Jr.!

Und doch musste ich die ganze Zeit daran denken, dass es sich um aus der Zeit gefallene Musik handelte, so lässig und subversiv die Haltung auch war, mit der sie vorgetragen wurde. Das Publikum war im Schnitt wohl jünger als die Band; nicht wenige in meinem Alter, die noch, wie ich, die Singles von Castingshow-Gewinnern gehört haben, als „Is This It“, das Debütalbum der Strokes, einen Monat vor 9/11 erschienen war. Es gab viel Bewegung im Publikum, nicht immer, für mich, angenehme; viele bierselige Männer, die ihre wuchtigen Körper gegen ihre Nebenleute hievten, als wollten sie sagen: „Hier, kümmere du dich jetzt um diesen Zentner.“

Kein Fragezeichen steht am Ende von „Is This It“, es war also nie als Frage gemeint. Der Band war es schon vor zwanzig Jahren klar. Ja, das ist alles.

Übrigens haben wir Doherty im Labyrinth hinter der Bühne dann verloren. Wir standen noch kurz ratlos im Backstagebereich herum, dann folgten wir den Anweisungen des Personals und wurden herausgeführt.

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