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Ausgehen und rumstehen von Hilka DirksAuf der Suche nach einem neuen Soundtrack

Wer Zeitungsartikel mit ‚Ich‘ beginnt, hat im Journalismus nichts zu suchen“, sagt der Mann zu mir. Es ist Samstagabend, ich stehe auf einer Charlottenburger Geburtstagsfeier und überlege kurz, ob ich diese Kolumne, von der er nichts weiß, wohl in der dritten Person schreiben sollte. Ich blicke mich um, während wir uns unterhalten. Eine große Küche, die klug aussehenden Gäste, fast alle älter als ich. Eine Wohnung, so groß, sie hat Sichtachsen durch die Räume. Bleiglasfenster in den Türen, Bücher, Käse, Wein, Bücher, Bücher und die wenigen gerauchten Zigaretten sind mit Leidenschaft willkommen.

Der Mann hat starke Meinungen, er spricht vom Zeitungsgründen in Westberlin, vom Idealismus und vom kleinen Gehalt, von niedrigen Mieten – gelegentlich wird das Wort „D-Mark“ betont – von der Leidenschaft und der Veränderung, in eben dieser Zeitung, der Branche, der Stadt, der Welt. Das Berlin der achtziger Jahre in einer Welt der achtziger Jahre. Er ist traurig, dass die Dinge verschwinden, denke ich. Wir schälen uns aus der Konversation. Ich versuche, mich einem benachbarten, kontroversen Gespräch über Kühlschrankmagnete anzuschließen, doch stört mich irgendwas an der vorgetragenen Sicherheit des guten Geschmacks. Also schleiche ich mich ins Nebenzimmer, in dem die Genussraucher genießen, und beschließe, den Rest des Abends nur noch zu lauschen: Krieg im Allgemeinen und in Israel und Palästina im Speziellen, Kulturpolitik, Facebook, Religion, Trotzki, Literaturagenten, die Themen des Tages, des Jahres, der Wehmut.

Ich höre die Stimme einer Freundin mit Hang zu In/Out-Listen in meinem Kopf sagen: „2025 ist Wehmut in“ und denke an die Künstler:innen, die ich letzte Woche interviewte. Ankunft in der Nachwendestadt. Auch da – natürlich: Wisst ihr noch früher? Die Freiheit der neunziger Jahre, als kein Polizist sich für Mitte verantwortlich fühlte. Die Räume, die Partys in Hinterhöfen, die Ausstellungen, die Möglichkeiten, die Solidarität. Vermissen die Menschen die Welt der Vergangenheit oder einfach nur ihre eigene Jugend? Und was vermisse ich dann? Die Möglichkeit einer Zukunft, die es für mich nie gab? Wird die Gegenwart wirklich schlechter? Gerade erscheint es schwer, dem etwas entgegenzusetzen. 2025 ist Zuversicht out.

Am Sonntag lädt mich G. zum Abendessen ein. Als sie den gebackenen Kohl aus der Brandenburger Gemüsekiste auf den Tisch stellt, verkündet sie: „Weißt du, was mir letztens eingefallen ist? Wie sehr wir damals den Soundtrack von diesem einen Film geliebt haben!“, während schon die ersten Töne des Albums aus dem Bluetooth-Lautsprecher kullern und mit ihnen die Wut und die Sehnsucht der Teenagerjahre, der Hunger auf die Zukunft und all die Fantasien darüber, wie unser Leben jetzt wohl aussehen würde. Weiter als bis Mitte dreißig konnten wir es uns damals eh nicht vorstellen. Und schon ist sie da: die ganz eigene wehmütige Sehnsucht. Nicht nach der Jugend, sondern dem Optimismus. Nach der Naivität im Kopf, als man noch dachte, Wohnungen mit Sichtachsen, voll Bücher und Zeitungen auf Papier seien irgendwann erreichbar im eigenen Leben, in dieser Stadt.

Vor ein paar Tagen beschwor mein Freund P. im Prassnik den Anbruch einer Zeit der „Neuen Romantik“, entstehend aus dem resignierten Rückzug ins Private. Wenn die romantische Melancholie als „sanfte Akzeptanz des Unausweichlichen“ gilt, dann sollten wir sie schnell abschütteln, denke ich. „Irgendwie ist auch nicht der ganze Soundtrack so gut gealtert“, unterbricht G. meine Gedanken. Recht hat sie. Nur den neuen, für die Wut und den Hunger des erwachsenen Lebens, den müssen wir vielleicht noch finden.

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