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Ausgehen und rumstehen von Hilka DirksDem Vorgarten in Lichterfelde ziemlich ähnlich

Als ich von der Sonnenallee in die Kleingartenkolonie einbiegen will, in der die Geburtstagsfeier meiner alten Kindheitsfreundin S. stattfindet, bin ich ratlos. Zwei Tore liegen vor mir: „National Registrierkassen NCR Kolonie e. V.“ und „Kühler Grund“ stehen auf Schildern. Der Garten meines Bruders in der „KGA Frohsinn“ gleich neben der „Kleingartenkolonie Burenland“ kommt mir in den Sinn – irgendwer muss doch schon mal eine kluge Analyse über die (nicht immer ganz unproblematischen) Namen deutscher Kleingartenanlagen geschrieben haben, denke ich, während ich mein Fahrrad am Zaun abschließe. Noch bevor ich überlegen kann, wo ich jetzt eigentlich genau hin muss, laufen zwei exzentrisch gekleidete Menschen meines Alters zielstrebig durchs „NCR“-Tor. Als ich sie frage, ob sie etwa auch auf die Party von S. wollen, verneinen sie jedoch, sie wären hier nur für „some research“. Ob die Namensgebung wohl eine Rolle spielt?

Ich gehe also alleine weiter und bin erstaunt. Die Anlage erscheint mir grüner, kleiner und irgendwie intensiver als alle anderen dieser Art, die ich in der Stadt je sah. Durch Maschendrahtzäune drücken sich fette kleine rosa Rosen, überall wuchert kalifornischer Mohn und die Töne des Grün erscheinen gesättigter als sonst – vielleicht ist es auch einfach nur der Kontrast zum Restneukölln da draußen, in dem jede noch so liebevoll angelegte Baumscheibe sofort im Urin diverser Säugetiere verätzt.

Ich finde die Feier. Um einen Biertisch sitzen ungefähr zwanzig Leute, circa die Hälfte war auf meiner Schule. Wir haben uns teilweise jahrelang nicht gesehen. Ich quetsche mich zwischen R. und M. auf die Bank. R. spielt jetzt in einer erfolgreichen Band, M. hat schon das zweite Kind und mir wird der erste Margherita gereicht. Auf dem Tisch tummeln sich weiße Decke und Porzellanteller, gute Weinflaschen, Sprudelwasser in nachhaltig dänischem Designbehälter und ein Teller voller kalt gewordener und so gar nicht vegetarischer Grillspeisen – ein Umstand, der mich merkwürdig erstaunt, hätte ich doch mit mehr Moral auf dem Teller gerechnet. Das hält mich jedoch nicht davon ab, in ein klebriges Würstchen zu beißen.

Die meisten Erinnerungen an Geburtstage mit diesen Menschen habe ich an Stadtparks mit Jackenhaufen und warmem Sternburg-Bier aus der Flasche. 15 Jahre später sehen alle ein bisschen aus wie ihre Eltern und machen auch in Neukölln das gleiche Buffet wie im Lichterfelder Vorgarten. Merkwürdig, wie einem das Vergehen der Zeit doch am ehesten an den Freunden der Kindheit deutlich wird. Als ich spät in der Nacht müde die Tür zu meiner Wohnung aufschließe, stelle ich fest, dass sie riecht wie mein Elternhaus im Sommer – Holz, Papier, Staub und der Duft warmer Linden von der Straße.

Am Sonntag treffe ich B. in der Neuen Nationalgalerie. Ich bin zu früh da, der Telefonakku fast leer und ich beschließe, mir im Museumsbuchladen etwas zum Zeitvertreib zu kaufen. Eine Mischung aus müdem Hirn, gestriger Kindheitsnostalgie und einem verlockenden Preis-Leistungs-Verhältnis lässt meine Wahl auf einen neuen „Asterix & Obelix“-Comic fallen, den ich auf der hinteren Museumsmauer überraschend amüsiert in der Sonne lese, während betont gelangweilt aussehende Skater mit wenig Verve zwischen den Skulpturen entlangfahren. Vielleicht hängt auch ihnen die letzte Nacht noch nach.

Als B. und ich die Andy-Warhol-Ausstellung im verglasten Hauptraum des Museums betreten, flüstert ein älterer Mann verheißungsvoll seiner Begleitung zu: „Es wird auf jeden Fall eine erotische Schau.“ Die meisten gezeigten Arbeiten stammen vom jungen Warhol. Vom wilden, schwulen, privaten, poetischen und begehrenden Künstler. Die meisten Besuchenden sind überraschend alt, die Stimmung verlangsamt, kontemplativ. Vielleicht ist es keine erotische Schau, denke ich, aber eine nackte, schonungslose, voller Zeugnisse einer energetischen, inspirierten, vergangenen Zeit. Und vielleicht sind es nicht nur die eigenen Jugendfreunde, sondern die Erinnerungen jeglicher Jugend, die das Vergehen der Zeit verdeutlichen – und ganz vielleicht, ist es auch einfach nur ein weicher früher Sonntagabend.

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