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Ausgehen und rumstehen von Anna SchorsDem Echo der Klänge nachspüren

Foto: Studio Monbijou

Zwei Mittzwanziger in Berghain-Kluft stecken kichernd die Köpfe zusammen. Dann huschen sie mit quietschenden Combat-Boots aus dem Saal. Vielleicht haben sie auf härtere Beats gehofft.

Dabei wackeln auch hier die Wände: Nicht nur bei der Klangkünstlerin Rojin Sharafi, vor deren Performance Ohrstöpsel verteilt werden, sondern auch bei den Headlinerinnen Sarah Nemtsov und Brigitta Muntendorf: Bei Nemtsov lässt dumpfes Pochen aus einem präparierten und verstärkten Klavier den Boden vibrieren. Muntendorf schickt vorwärtstreibende Tonwiederholungen durch den Raum – ein Puls, der in den Körper fährt.

Es ist schwierige, verwirrende Musik. Sie untersucht die Textur des Klangs, lebt von der Verschmelzung von Live-Elektronik und analogen Instrumenten. Eine Musik, die ihren Weg ertastet. Zum Fühlen, nicht zum Verstehen gemacht. Also höre ich auf, das Ganze intellektuell zu sezieren, und lasse mich fallen. Jetzt erst wird es still in meinem Kopf und ich spüre dem Echo der Klänge nach.

Ansonsten gibt es nicht viel zu feiern. Im Eröffnungspanel geht es um Zusammenhalt in Zeiten von Krieg und konservativem Backlash. Die belarussische Komponistin Chikiss erzählt, wie der Ukrainekrieg einen Keil in langjährige Kollaborationen treibt.

Sara Abazari, zugeschaltet aus Teheran, berichtet, wie sie seit woman life freedom ihren Job an der Universität verloren hat und wie das Ausland von ihr als iranischer Komponistin erwartet, „victimhood and oppression“ in ihrer Kunst zum Thema zu machen. Die Stimmung ist gedrückt. Sarah Nemtsov gibt zu, dass sie sich manchmal fragt, was sie den vielen Krisen mit ihren Tönen überhaupt entgegensetzen kann. Trotzdem hofft sie: „Coming together and talking to each other is a small spark in the darkness.“

Ich denke mir: Das ist Gruppentherapie. Und dann ist da noch der Genderpaygap: Laut Künstlersozialkasse liegt er für den Bereich Komposition aktuell bei 46 Prozent. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 46 Prozent!! Eine Lösung hat von den Panelistinnen keine parat, dafür bedrückende Botenberichte: Sarah Nemtsov erzählt von Rat suchenden jungen Kolleginnen, die wissen wollen, ob die ihnen angebotenen Honorare angemessen seien. Häufig seien sie das nicht.

Mit den Betonwänden im Innern und dem Glaskubus, der sich außen schützend über die alte Backsteinfassade legt, wirkt das Radialsystem wie eine kleine Festung gegen die Drohgebärden des Zeitgeistes. Ein bisschen wie das gallische Dorf aus den Asterix-Comics, das sich gegen Caesars Armee stemmt. Wer sind heute die römischen Invasoren? Der Rechtsextremismus? Die Kulturkürzungen? Oder – wie es Radialsystem-Leiter Matthias Mohr in einer Ansprache formuliert – die patriarchale Gewalt?

Einige Tapfere haben sich trotz des Regens nach draußen gewagt, halten sich an ihren Aperols und Fritz-Limos fest, blicken auf die glitzernde Spree und die Baubrache auf der anderen Uferseite. Hin und wieder tönt eine Sirene, aus Richtung Holzmarkt wummern Bässe durch den Sommerabend. Tröstliche, nicht tot zu kriegende Großstadtromantik!

Ich höre auf, das Ganze intellektuell zu sezieren, und lasse mich fallen. Jetzt erst wird es still in meinem Kopf

Auch im Konzertsaal funkt die Hoffnung akustische Signale: Das israelisch-iranische Meitar-Ensemble spielt „This is the noise that keeps everything else quiet“ für Instrumente und Elektronik von Anahita Abbasi, gewidmet allen vom Krieg betroffenen Menschen: Unter einer Mauer aus dröhnendem Rauschen zucken einzelne Töne von Geige oder Flöte. Nach und nach befreien sich Fetzen eines Wiegenliedes oder das zarte Klirren eines Windspiels – wie Grashalme, die den Asphalt durchbrechen.

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