Ausgehen und rumstehen von Andreas Hartmann: Der Sound des letzten Jahrhunderts
Seit einer halben Ewigkeit gibt es nun schon das Format „Plattenspieler“, bei dem der Autor und Musiker Thomas Meinecke mit wechselnden Gästen vor Publikum Schallplatten hört und über diese fachsimpelt. Aber erst am letzten Samstag kam es im Roten Salon der Volksbühne zum Aufeinandertreffen von Meineckes gigantischer Plattensammlung mit der von Diedrich Diederichsen, den man auch den deutschen Poppapst nennt.
Der Altersdurchschnitt des Publikums war erstaunlich niedrig. Die beiden auf der Bühne gehen stramm Richtung 70 und legten ausschließlich Musik aus dem vorherigen Jahrhundert auf, bedienten keine Playlists, sondern Plattenspieler. Doch das fanden ganz wohl auch die etwas Jüngeren faszinierend. Bei fast jeder Platte, die nicht nur aufgelegt, sondern deren Cover auch auf eine Leinwand projiziert wurde, holten die Leute ihre Handys raus und machten Fotos.
Wie bringen zwei Oberchecker, die sich nur schwer auf einen bestimmten Musikgeschmack festlegen lassen, so etwas wie eine rote Linie in solch einen Abend? Indem sie sich vorab zumindest auf auf einen gemeinsamen Nenner für den Anfang geeinigt hatten, erklärten sie. Und der lautete: Musik von Pianisten. Diederichsen legte los mit einem Stück des Jazzpianisten Mal Waldron. Tolle Nummer von einer superraren Platte, von der auch Diederichsen nur die Nachpressung hat. Oder er wollte sein Original nicht mitbringen, weil er wusste, dass Meinecke bei seinen Veranstaltungen immer gerne eine Flasche Rotwein öffnet. Wer will schon Rotweinflecken auf seiner 500 Euro-Platte?
Die beiden waren dann schnell an dem Punkt angelangt, sich gegenseitig mit dem obskursten Zeug aus der Plattentasche ausstechen zu wollen, so wie man das befürchtet und sich auch erhofft hatte. Vor allem Diederichsen legte wirklich wilde Sachen auf. Eine Coverversion von „Eight Miles High“ von den Byrds, vorgetragen von dem Dudelsack-Jazzer Rufus Harley beispielsweise, der damit wohl im Sinn hatte, auch Hippies von seiner Musik zu überzeugen, aber wohl selbst die Freaks mit diesem Getröte verstörte. Der Popprofessor war bald bei einem musikalischen Randgebiet angelangt, bei dem sein Gegenspieler kaum noch kontern konnte oder wollte: beim Progrock.
Der werde oft missverstanden, referierte er, und seine Geschichte müsse eigentlich neu geschrieben werden. Es klang fast so, als könne man demnächst diese Korrektur in einem Buch von ihm selbst erwarten. Die interessanteste schräge Musik in den Siebzigern sei nämlich nicht von den Krautrockern hierzulande gekommen, sondern der beste Krautrock komme eigentlich aus Italien und Frankreich, so seine steile These. Danach legte er ein zaapaeskes Stück von Komintern aus Frankreich und Feedbackkrach der frühen Stormy Six aus Italien auf. Und man dachte sich: vielleicht hat Diederichsen wie immer recht. Schade nur, dass der musikalische Austausch auf der Bühne so selten persönlich wurde.
Von Meinecke erfuhr man, dass, wenn er sich festlegen müsste, seine ewige Lieblingsband The Velvet Underground seien. Und dass er das Münchner Jazzlabel ECM nicht mag. Doch die Idee, Leben und Biographie seines Gastes anhand musikalischer Beispiele zu begleiten, wurde nicht weiter verfolgt. Er legte eine Single auf, an der Jackie Eldorado beteiligt war, bekannt geworden als erster Punk Deutschlands. Daraus hätte sich etwas entwickeln können. Aber sofort ging es wieder um Spiritual-Jazz und ähnliches.
Gegen Ende war es aber rührend, wie Diederichsen unbedingt noch dieses Stück von John Cale mit dem Titel „You know more than I know“ auflegen wollte. Und wie er beim Refrain Regung selig mitsang. Womit man dann doch noch etwas fast Intimes von ihm erfahren hätte.
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