Ausgehen und rumstehen von Andreas Hartmann: Aufgemalte Eiszapfen unterm Plattenbau
Rumstehen kann man auf Weihnachtsmärkten natürlich sehr gut. Auf ihnen rumzustehen mit einem Glühwein in der Hand, das ist ja der absolute Klassiker. Aber ist dieses Rumstehen auch mit einem Ausgehen im klassischen Sinne in Verbindung zu bringen? Zumindest auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Alex schon. Das sogenannte „Partyhaus vom Nikolaus“, eine riesige Holzhütte mit Türsteher, verspricht in der Voweihnachtszeit jeden Abend Hüttenzauber samt Schlagerparty.
Und da es in Berlin eine unfassbare Dichte an Weihnachtsmärkten gibt – um die 90 sollen es sein –, kann man diese auch analog zum althergebrachten Club- oder Kneipenhopping besuchen. Weihnachtsmärkte betouren – ja, das hat langsam schon etwas von einem Ausgehen. Von der Weihnachtskirmes am Alex etwa ist es nur ein Katzensprung zur nächsten Glühwein-Tanke am Roten Rathaus. Von dort wiederum sind es bloß ein paar Gehminuten zu den Fressbuden und Verkaufsständen auf dem Holzmarkt.
Vom Besinnlichkeitsfaktor her gibt es zumindest zwischen den drei genannten Märkten nur geringe Unterschiede. Am Alex, im Schatten der Plattenbauten, kommt so was wie Weihnachtsstimmung, eher schwer auf. Am Roten Rathaus, einem nicht ganz so trostlosen Setting, ist es kaum besser. Mampfbude neben Mampfbude, dazwischen Holzhütten, die reduzierte Allerweltsklamotten feilbieten, als wäre immer noch Black Friday. Und ein Riesenrad. Dazu wahnsinniges Gedränge und Geschiebe an diesem ersten Adventssonntag.
Auf dem Holzmarkt, diesem Vorzeigeort der Berliner Alternativszene, ist es kaum anders. Außer dass es hier weniger Bratwurst gibt, sondern hochpreisiges Street Food. Und Dinge gekauft werden können, die man auf den anderen Berliner Märkten wahrscheinlich nicht findet. Etwa „Sexy Soap“, Seifen in wahlweise Penis- oder Vulvaform. Oder „Fair LSD“, eine angeblich psychedelische Droge, nur halt legal.
Aber woher kommt überhaupt diese sichtbare Begeisterung der Berliner und Berlinerinnen für Weihnachtsmärkte? Wenn man sich diese Buden und Hütten ansieht, erkennt man, dass fast alle aus Holz sind, gerne verziert mit aufgemalten Eiszapfen, die von den Dächern hängen. Man bekommt hier diese urige Gemütlichkeit serviert, die man nur zu gut aus dem „Last Christmas“-Clip von Wham kennt und die längst zur ultimativen Weihnachtssehnsucht geworden ist. Und da sich ja kaum noch jemand den echten Wintertrip in die Alpen leisten kann oder man auf diesen aus ökologischen Gründen lieber verzichtet, nimmt man notgedrungen mit dieser Simulation vorlieb. Auch wenn man wirklich sehr viel Fantasie braucht, um sich auf dem völlig sterilen Alex vorstellen zu können, dass man gleich gemeinsam mit George Michael am Kamin hocken oder sich mit ihm bei einer Schneeballschlacht verausgaben könnte.
Aber neben all den Berliner Weihnachtsmärkten, die so stimmungsvoll sind wie eine Fußballweltmeisterschaft in Katar, gibt es vereinzelt ja auch noch solche, die mehr sind als ein Rummel in der Adventszeit. Auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus Lichtenberg etwa boten Vereine und Wohlfahrtsverbände Selbstgebasteltes an. Die Erlöse gingen an einen guten Zweck, beispielsweise an die Berliner Kältehilfe. Es gab selbst gebackene Plätzchen zu Spottpreisen, und auf der Bühne wurden Weihnachtslieder geschmettert. Die Plätzchen schmecken übrigens hervorragend. Leider fand ausgerechnet dieser Weihnachtsmarkt ausschließlich am 1. Advent und damit nur an einem einzigen Tag statt.
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