Ausgehen und rumstehen von Andreas Hartmann: Ein Alien mit dunkler Sonnenbrille
Ob ich auch so ein Ding möchte, fragt mich Thomas und kann es gar nicht fassen, dass ich dankend ablehne. Er ist gewandet in eine sogenannte Djellaba, einen traditionellen Kapuzenmantel aus Marokko. Aus irgendwelchen Gründen hat er gleich zwei davon.
Wir verkaufen beide heute Krimskrams auf dem Flohmarkt am Maybachufer. Wobei Krimskrams hauptsächlich bedeutet: Schallplatten. Aber auch anderes Zeug. Thomas hat beispielsweise einen alten Tennisschläger dabei, dazu habe ich ihm gleich gesagt, dass sich für den kein Mensch interessieren wird. Was dann auch stimmt. Wobei ich das Gleiche auch über seine speckigen Wanderschuhe dachte, die aussehen, als hätte in ihnen schon der ganz junge Reinhold Messner die Südtiroler Berge bestiegen. Aber die Schuhe gehen tatsächlich weg.
Es hätte ja auch etwas dafür gesprochen, wenn wir beide in so einer Djellaba hinter unserem Flohmarktstand auf Kundenfang gegangen wären. Die Konkurrenz ist schließlich groß, Aufmerksamkeit zu erregen nicht die schlechteste Idee. Und dann wird es irgendwann an diesem wettertechnisch sehr durchwachsenen Sonntag auch noch ganz schön kalt, und daher schiele ich schon etwas neidisch auf Thomas in seinem sackförmigen Umhang, der ganz schön flauschig aussieht. Und es gibt auch Leute, die kramen zwar ausgiebig in Thomas’ Plattenkisten herum, aber nicht in meinen. Grund dafür muss die Djellaba sein.
Auf der anderen Seite
Wenn man mal auf der anderen Seite der Flohmarktplattenkiste steht als üblich, also nicht als potenzieller Käufer, sondern als Verkäufer agiert, lernt man einiges über Musikgeschmäcker anderer und den vergangenen beziehungsweise aktuellen Zeitgeist. Platten des Ende der Achtziger mal hochgehandelten US-Indielabels Shimmy Disc beispielsweise schaut niemand mehr an. Braucht noch irgendjemand Werke von Spongehead oder When people were shorter and lived near the water? Offensichtlich nicht. Während selbst der größte Ramsch des ehemaligen DDR-Staatslabels Amiga wieder neuen Zuspruch bei der HipHop-Jugend findet. So kann ich bezeugen, dass Thomas sogar eine alte „Lyrik-Jazz-Prosa“-Platte einem jungen Digger anzudrehen weiß, weil der Wind davon bekommen hat, dass Deutschrap-Urgestein Max Herre auch eine Compilation mit Amiga-Kram zusammengestellt hat.
Erstaunlich ist auch, dass man manches, von dem man dachte, es geht gleich weg, bevor man richtig seinen Flohmarktstand aufgebaut hat, wieder mit nach Hause nehmen muss. Den Roman „Jungfrau“ von Thomas Meinecke für 2 Euro: Will einfach niemand haben. „It’s only Rock’n Roll“ von den Rolling Stones, nicht unbedingt ihre allerschlechtestes Werk, geht auch nicht weg. Und Thomas versucht wirklich alles. Einer jungen Frau, die fragt, ob wir etwas von Pink Floyd hätten, antwortet er: Nee, aber was von den Stones. Obwohl die beiden Bands eigentlich nur verbindet, dass sie uralt und ziemlich bekannt sind. Bringt dann ja auch nichts, die unseriöse Verkaufsmasche.
Skurriles Allerlei
Man erlebt allerlei Skurriles an so einem Flohmarkttag. Ein Typ eilt herbei und fragt: „Habt ihr ein Buch über Pilze?“ Nein, leider heute nicht. Hätte ich mal lieber ein paar Werke aus meiner Pilzbuch-Bibliothek aussortiert! Und ein Australier mit Kind spaziert vorbei, in der Hand ein Doppelalbum mit Weihnachtsliedern von Heino. Thomas denkt schon, ich sehe es an dem Leuchten in seinen Augen: Dem kann ich jetzt aber wirklich auch den größten Schrott andrehen. Der Australier sagt aber, es dürfen wirklich nur Werke von Heino sein, die bringe er immer mit in die Heimat, und da würden alle großen Augen machen und sich wundern, dass die Deutschen auf die Musik eines Aliens mit Sonnenbrille stünden.
Für eine ganz besondere Platte hat sich bis zum Ende des Flohmarkts auch niemand interessiert. Sie stammt von der längst vergessenen britischen Progband Little Big Horn. Der niedrige Preis, schlappe 100 Euro, ist ein echtes Schnäppchen!
Das Album ist übrigens immer noch zu haben! Ernst gemeinte Angebote richten Sie bitte an die taz-Redaktion.
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