Ausgehen und rumstehen von Anastasia Zejneli: Von der Toilette zum Raumschiff
Vorfreude ist normalerweise das Letzte, was ich spüre, wenn ich eine öffentliche Toilette in Berlin betrete. Der Schritt in die ehemalige Sanitäranlage fühlt sich fast unverschämt an, zumal draußen die Sonne ihre Strahlen über Neukölln ausbreitet.
Statt die letzte Wärme des Tages an mich zu lassen, dränge ich mich an Aperol schlürfenden Gruppen vorbei in die kühlen gekachelten Räume. Dabei liegen mir die kalten Wintertage noch so tief in den Knochen. Und doch überwiegt die Neugierde, zu sehen, was die historische Toilettenanlage an der Wildenbruchbrücke zu bieten hat.
Seit vier Jahren finden in den vier kleinen Ausstellungsräumen Projekte von Einzelkünstler*innnen und Kollektiven ihren Platz. „Cosmopolitics“ macht in dieser Saison den Anfang. Das spekulative Raumschiff soll Denkanstöße bieten, wie wir das All als allgemeines Gut betrachten und mit ihm umgehen können. In Zeiten privater, größenwahnsinniger Milliardäre mit Hang zum All keine schlechte Idee.
Zwei Bildschirme mit Satellitenbildern begrüßen mich, langsam ziehen Netze aus grauen Straßen und grünen Siedlungen an meinen Augen vorbei. Die Sound- und Videoinstallation sammelte Daten aus Hunderten Spionagesatelliten. Einerseits beunruhigt diese genaue Überwachung, unter der wir stehen. Und doch strahlen die Bilder, wie sie über den Bildschirm gleiten, fast schon etwas Meditatives aus. Würde man mir eine Liege unter den leicht nach unten geneigten Fernseher stellen, ich würde mehr als freiwillig die restliche Abendsonne verpassen wollen.
Stattdessen ziehe ich weiter, schaue mir Aufnäher von privaten Raumfahrtinitiativen an und stolpere fast in den roten Sandberg, der die Hälfte des vorletzten Raums einnimmt. Passenderweise will die Installation uns einen respektvollen Umgang mit dem All und im Speziellen dem Mars näher bringen. Von einer Wand blickt mich eindringlich ein rotes Gesicht an. „Können wir uns als Erdlinge wieder versöhnen, wenn wir die Marsianer anerkennen?“, fragt mich der Marsianer.
Ein Denkanstoß für einen anderen Tag, beschließen meine Begleitung und ich. Schließlich ist immer noch Freitagabend und die Müdigkeit der Woche macht sich breit. Und so ganz will ich nicht auf die Abendsonne verzichten. Wir steigen die Treppen wieder hoch und spazieren am Kanal entlang. Kinder spielen auf der Straße, eine Gruppe sichtlich angetrunkener Menschen dreht ihre Bluetoothbox lauter, Pärchen trinken Wein auf Picknickdecken und wir beobachten die Fledermäuse, die vorbeiziehen. Alle existieren nebeneinander, die Aussicht auf Frühling stimmt alle versöhnlicher.
Schwarz getränkte Wände, rote und blaue Neonröhren beleuchten den Raum, den ich zögerlich betrete. Ich habe das Raumschiff am Freitag hinter mir gelassen und fühle mich doch noch wie ein Alien. Samstagfrüh, Prenzlauer Berg, Spinningclass. Statt die kosmischen Wesen zu versöhnen, versuche ich meine letzten Kräfte der Woche zu vereinen. Dicht drängen sich die Fahrräder in dem fensterlosen, stickigen Raum. Stündlich quälen sich Menschen in perfekt abgestimmten Zweiteilern auf imaginären Ausfahrten, da bleibt kaum Zeit, frische Luft hereinzulassen.
Ich setze meine blau leuchtenden Kopfhörer auf, schließe die Augen und träume mich auf einen fernen Planeten, in der Hoffnung, dass es dann schneller vorbeigeht. „Let’s go, Team“, ruft eine Stimme im Versuch, mich und die restlichen 44 strampelnden Teilnehmer*innen zu motivieren. Ich sprinte auf geraden Straßenabschnitten, kämpfe mich Hügel hoch und frage mich, wann wir endlich mal bergab fahren. Doch die Abfahrt bleibt mir verwehrt. Schwitzend und zittrig steige ich vom Rad. „Komische Erdlinge“, würden wohl die Marsianer denken, wenn sie wüssten, dass wir freiwillig auf der Stelle im Dunkeln Fahrrad fahren.
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