Ausgehen und rumstehen von Anastasia Zejneli: Unsichere Kneipen, sichere Bänke
Die Sonne strahlt mir ins Gesicht und die rot-gelb-orangefarbenen Blätter rascheln unter meinen Füßen während ich durch Neukölln laufe. „Soll ich dir noch meine Lieblingskneipe zeigen?“, frage ich F., mit dem ich gerade einen Kaffee trinken war. Es ist einer dieser milden, späten Freitagnachmittage, an denen man jede Sekunde draußen verbringen will aus Angst, dass der gefürchtete kalte Winter an der nächsten Ecke lauert. F. willigt ein, es sei ja schon spät genug für ein kleines Bier.
Ich freue mich, einen meiner liebsten Orte teilen zu können. Es gibt zwar viele Bars und Kneipen in meiner Nähe, doch eine günstige, nicht zu verrauchte, mit einigermaßen sauberen Toiletten und angenehmen Publikum (liebe Männer, lasst uns einfach in Ruhe was trinken, niemand mag mit euch reden) zu finden ist nicht leicht.
Als Gewohnheitstier blieb ich bei der ersten Kneipe, die alle Bedingungen erfüllte. Wir biegen auf den Platz davor ein, F. schaut mich ernst an: „Das ist aber nicht die Querdenker-Kneipe, oder?“ In meinem Bauch breitet sich ein unangenehmes Gefühl aus. Mir hatte schon mal eine Person erzählt, dass die Leute dort Corona nicht zu ernst meinten. „Die hatten bestimmt nur keine Sticker mit der Luca-App“, wehrte ich in einem Moment kompletter Naivität ab. Nun saßen F. und ich vor dem Laden und durchforsteten Google Rezensionen.
Lang müssen wir nicht suchen, selbst Beiträge der letzten drei Monate lobten den Laden dafür, sich gegen die Corona-Maßnahmen aufgelehnt zu haben. Mehrere Leute bedauern in ihren Rezensionen den Wandel der Kneipe über die Pandemie. Broschüren, in denen die Existenz von Corona geleugnet worden war, hätten in der Bar zum Kauf gestanden.
Mein Magen zieht sich zusammen, ich nippe an meiner wohl letzten Cola an diesem Ort. Am Abend ziehe ich weiter und treffe mich mit einem Arbeitskollegen auf ein Bier. „Es gibt so viele stabile linke Kneipen, du wirst schon was finden“, meint er, während wir in der Linie 1 in Kreuzberg sitzen. Meckern kann ich über den Laden nicht, das Bier ist günstig, die Leute hinter der Bar schreien einen nicht an (das ist vielleicht mal in meinem Ex-Lieblingsort passiert) und angetrunkene Männer ignorieren einen. Der Traum. Doch die Wunde ist noch frisch, und so ganz hinweg bin ich nach wenigen Stunden noch nicht über die Schwurbel-Bar.
Auf dem Weg nach Hause rufe ich eine Freundin an, die mich zu sich nach Prenzlauer Berg einlädt. Ich fahre die für Berlin nicht zu vermeidenden 40 Minuten zu ihr und ihren Freunden. Die Bar, in die sie wollen, ist natürlich schicker, dunkler und voller als die anderen Orte, an denen ich an diesem Freitagabend bisher war.
Männer in weißen Hemden bestellen Whiskey und Cognac, ich frage mich, ob ich hier überhaupt eine Cola zu trinken bekommen würde. Wir finden keinen Platz drinnen und stellen uns draußen auf den Gehweg. Kurz bereue ich es, für ein Getränk vor dem Laden so weit gefahren zu sein. Doch dann entscheiden wir uns dafür, unsere eigene Bar auf der gegenüberliegenden Seite aufzumachen, und setzen uns auf eine Bank. Die Zeit vergeht, wir vergessen, nach einem warmen Platz im Laden Ausschau zu halten. Die Gespräche sind leicht, das Bier vom Kiosk nebenan günstig, und so langsam vergesse ich meinen Kneipenkummer. Um halb zwei bewege ich mich durch die ruhigen Straßen zur Straßenbahn.
Ich laufe an einer Bar vorbei, in der es günstigen Aperol Spritz gibt. Ich war erst vor einigen Tagen mit Freundinnen dort. Wir wunderten uns über die Preise und die sauberen Toiletten (zwei von vier Bedingungen waren schon mal erfüllt). „Was ist der Haken?“, fragten wir uns. Wir bezahlten und warteten auf die letzte Freundin, die noch drinnen war. „Ich weiß, was falsch ist an dem Laden“, ruft sie beim Hinausgehen.
Als sie Trinkgeld geben wollte, drückte ihr der ältere Barkeeper einen Kuss auf die Wange, er bräuchte kein Geld, sagt er. Einen Safe Space zu finden, das ist nicht einfach – auch in Berlin nicht. Ich will ohne Sorge mit Freundinnen eine gute Zeit haben, wer weiß, vielleicht finde ich in Neukölln noch diesen Ort. Und falls nicht, machen wir unsere eigenen Bars auf, auf Bänken, in Parks und Wohnungen.
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