Ausgehen und rumstehen von Adefunmi Olanigan: Und unermüdlich dreht sich das Rädchen im Chat
An diesem Sonntagabend, der sich so wenig nach einem anfühlt, suchen wir Rückzug und Erholung von der Sonne und der Menschenmasse, die durch Kreuzberg zieht. Eben noch schob sich unsere Dreiergruppe durchs dichte Gedränge der Feiernden vom Karneval der Kulturen. Wir finden unser Glück im Schatten eines Baums auf dem Tempelhofer Feld. „Warum sollte man allein reisen, wo wir doch unser ganzes Leben allein sind?“, fragt D. „Ach Quatsch, wir sind doch nicht allein“, entgegnen M. und ich. Uns berühren doch so viele Menschen im Leben. So pessimistisch will ich nicht sein. Aber so große Menschenmassen rufen eine gewisse Ambivalenz hervor: verbunden mit der Welt und unendlich allein im Gedränge.
Schon bevor die Parade an diesem Nachmittag anfängt, platzt die Gneisenaustraße aus allen Nähten. Links, rechts und auf der Straße wuseln Menschen Richtung Umzug, zur nächsten Fressbude oder suchen nach dem besten Platz, die Wagen und Tänzer*innen zu beobachten. Mein Handy streikt, mein Datenvolumen ist aufgebraucht, und unermüdlich dreht sich das Rädchen im Chat, „Warten auf Netzwerk“. Dass wir uns überhaupt in der Masse auf dem Fest gefunden haben, fühlt sich fast an wie ein kleines Wunder.
Es ist mein erstes Mal auf dem Karneval der Kulturen. Ich habe mich richtig darauf gefreut und den warmen Tag direkt zum Anlass genommen, mein liebstes Kleid aus Nigeria zu tragen. Auf dem leuchtenden Grün fächern sich im Halbkreis gelbe Blumen auf. Vielleicht sind es auch Bananen. Oft fühle ich mich mit den Kleidern sehr auffällig, aber eigentlich freue ich mich, dieses Kleid und auch andere nicht nur an einem antirassistischen Fest zur kulturellen Vielfalt zu tragen.
„Siehst du was?“, fragen mich meine Freund*innen. Fünf Reihen trennen uns und den Umzug. Auf Zehnspitzen recke ich meinen Kopf und versuche einen Blick auf die vorbeiziehenden Gruppen zu erhaschen. Die Spitzen großer bunter Stoffflügel tanzen sich über der Menge. Nur sehe ich die dazugehörigen Träger*innen nicht.
Aber dass ich so wenig sehe, ist schon fast egal. Ich wiege mich zum Klang der Musik. Sie lässt nicht los, umfasst den ganzen Körper, und die Trommelklänge der Gruppe schwingen noch im Bauch nach.
Schon am Tag davor war ich auf dem Fest. Zwei kleinen Schritten folgt eine Pause, meine Hüfte schwingt im Takt. Halb laufend, halb tanzend wippt mein Körper durch die Menge. Das Gefühl ist ansteckend. Gemeinsam lachen wir. Manchmal zweifle ich an uns, der Menschheit. Aber für diesen Moment fühlt sich die Welt ganz wunderbar an.
Mitten in der Parade weiß ich den Gedanken vom Vortag zu schätzen. Es fühlt sich an, als wären eine Millionen Menschen auf der Straße. Der RBB spricht später von Hunderttausend. Auf beiden Seiten drängen Feiernde in die entgegengesetzte Richtung, von hinten drücken die Nächsten. Den Kampf nach freiem Platz ficht man für sich allein.
Unterm Baum denke ich weiter darüber nach, was D. sagte. Sind wir unser ganzes Leben allein und drängen sich nur Menschen an uns vorbei? Streifen sie lediglich unsere Gefühle und Gedanken? Im eigenen Kopf mit sich selbst ist man allein und macht Dinge mit sich selbst aus.
Mit mir muss ich immer Zeit verbringen. Vielleicht hat D. irgendwo doch recht. Aber allein ist nicht einsam. Alleinsein heißt auch, frei Entscheidungen treffen zu können. Wäre auch schrecklich, ständig jemand weiteres im eigenen Kopf zu haben. So kann ich wählen und wie in einer Menschenmenge andere an die Hände nehmen und gemeinsam ein Stück Weg bestreiten.
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