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Ausgehen und rumstehen Von Jan JekalIst ja das Chuckamuck-Konzert

Foto: taz

Durch das Plattenbau-Treppenhaus nach oben, die Wände sind vollgeschrieben und vollgeklebt mit Plakaten und Quatsch, Gesichtsentfernungen werden angeboten, 180 bis 200 Euro, kommt auf das Gesicht an. Junge Frauen stehen Schlange, da ist also das Klo, gut zu wissen, werde ich mich gleich mit in die Schlange stellen, aber vorher hol ich mir am Einlass den Stempel. „Büro für postpostmoderne Kommunikation“ steht an der Tür, hier bin ich richtig, West Germany heißt der Laden, und mit Laden meine ich einen fensterlosen Raum in der obersten Etage eines Kreuzberger Nachkriegsbaus. „Wie viel kostet’s denn überhaupt?“, fragt mich der Mann am Einlass, und eigentlich müsste ich derjenige sein, der die Frage stellt, und er müsste derjenige sein, der sie beantwortet. Aber tut nichts zur Sache, es stehen eh alle auf der Gästeliste, die hier ein handbeschriebener DIN-A4-Bogen ist, ist ja das Chuckamuck-Konzert, also Heimspiel, Berliner Kiez-Jungs, zahlende Gäste gibt es wohl kaum welche, alles Befreundete und Assoziierte, die Boheme und die, die sich als Boheme begreifen, sorgfältig Nachlässigkeit signalisierend, drinnen Sonnenbrille tragend. Zum Glück habe ich mir vorhin etwas Salatdressing auf mein mintfarbenes Polohemd gesprenkelt und musste mich umziehen – neuer Look: schwarzes Polohemd –, mintfarben wäre hier so gar nicht der Vibe. Das Polohemd bleibt natürlich ein Problem.

„This Door Must Stay Shut“ steht auf der offenen Tür, die zum Balkon führt, das muss diese postpostmoderne Kommunikation sein. Auf dem Balkon ist es angenehm, blaue Stunde, Blick auf Platten, runterschauen oder springen geht nicht, der Balkon ist eingezäunt, vom Kottbusser Tor schwebt Stadtlärm hoch. Drinnen sind die Decken niedrig, Kabel und Ventilatoren hängen herunter, der Boden ist gefliest, die Wände zum Teil auch, Spülmaschinengeruch. Es sind schon dreißig Grad, bevor Chuckamuck losgelegt haben, und während sie spielen, werden es dreihundert. So war es wohl bei den Kellerkonzerten der Beatles; Schubiduba und Rockabilly, unsauber und fantastisch, von der Decke tropft der Schweiß, es sind wirklich tausend Grad, man kriegt keine Luft, also raus, durch die geschlossen zu haltende Tür, auf den eingezäunten Balkon. Dann Flucht zum türkischen Bäcker, Baclava am Straßenrand.

Chuckamuck habe ich vor sechs Jahren das erste Mal gesehen, da war ich neu in der Stadt. Ich fühle mich mittlerweile zwar als Berliner, aber ich bin keiner, das merke ich, wenn ich Chucka­muck sehe, das sind nämlich echte Berliner. ­Charaktere. Ich bin ein Zugezogener, ein Gentrifizierer, dem die Gentrifizierung bald an den Kragen geht; der Tourist, der über Touristen schimpft. Am Oranienplatz steht ein schickes Hotel, das vor sechs Jahren noch nicht dort stand. Wäre ich zu Besuch und könnte ich es mir leisten, würde ich mir ein Zimmer nehmen.

Am nächsten Tag hole ich meine Freundin ab von der Ballettschule in Neukölln. Ich komme kurz mit nach oben und schaue mir die letzten Minuten an. Der Ballettlehrer sitzt neben dem CD-Player und ruft ihr Französisches zu, mir versichert er, dass die Übungen gut für den Po sind. Danach Abendessen in der Gegend, vietnamesisch. Ein junger Mann mit Stichnarben bittet um Kleingeld, wir machen ausweichende Bewegungen und Geräusche, und er geht weiter zum Nebentisch, wo sie ihm etwas geben. Ich muss niesen; Heuschnupfen. Ich vergesse mit jedem Winter, dass es Gräserpollen gibt, so bleibt die Freude auf den Frühling ungetrübt, und dann ist der Frühling da, und die Gräserpollen sind es auch. Vergessen ist wichtig, denke ich, ist noch viel besser, als sich zu erinnern.

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