Ausgehen und Rumstehen von Stephanie Grimm: Traurige Abschiede, euphorisches Tischtennis
Höchste Zeit, dass sich das alte Jahr verabschiedet – so viele Abschiede, wie 2024 selbst im Gepäck hatte. Die kamen mal leise daher, mal sorgten sie für Ärger oder Frust. So oder so: Sie machten das Alltagsleben hässlicher: Da waren die geliebten Festivals, die aufgaben; das Schwimmbad um die Ecke, das zwecks Sanierung erneut geschlossen wurde. Das alles grundiert von der schleichenden Verabschiedung der Idee, dass wir es als Spezies vielleicht doch noch gebacken kriegen. Sonst würde man sich ja langsam auch mal beschweren: So unerquicklich, im Kleinen wie Großen, kann es schließlich nicht weitergehen.
Zurück in meiner kleine Welt, muss ich zum Ende des Jahres dann noch mal tschüß sagen: zum Rooty, einem Café mit Pflanzenladen, betrieben von einer sympathisch nerdigen Frau aus Hongkong. Entdeckt hatte ich das Etablissement vor anderthalb Jahren. Zuverlässig ließ dieser Ort die Herzen aller aufgehen, die ich herschleppte. Mit der Freundin, die ums Eck wohnt, verbrachte ich leckere Mittagspausen dort. Allerdings gab es nur zwei Portionen am Tage und auch das nur manchmal; man musste also hinterher sein. Immer wieder ließ ich mich dazu hinreißen, Pflänzchen nach Hause zu tragen, den suboptimalen Lichtverhältnissen meiner Nordseite zum Trotz. Jetzt finden sich sogar bei Ikea Pflanzen, die unlängst noch als Raritäten galten. Schlecht für Rooty.
Am letzten Geschäftstag herrscht munteres Gedränge in dem winzigen Laden, der in seiner eher kurzen Existenz zur Institution im Warthekiez geworden ist. In den Regalen sind nur noch wenige Pflanzen – und die lässt sich die Betreiberin nicht aus dem Kreuz leiern. „No, no, those are mine“. Am Schluss ist sogar die Blumenerde ausverkauft.
Am nächsten Abend steht das große Punk-Schaulaufen in der Volksbühne an. Seit fünf Jahren veranstaltet die Belegschaft des Theaters sogenannte Punk-Abende im Roten Salon. In Verbindung mit einem Konzert wird dabei ein vergessener Arbeitskampf vorgestellt. Zu Silvester bespielen die Veranstalter nun erstmals die große Bühne. Die Anreise verläuft komplikationsreich. Polizeieinsatz hier, „Personen im Gleis“ da. Ich muss zu Fuß weiter. Seit mir vor vielen Jahren ein Pankower Pubertist einen Böller aufs Auge warf, trage ich im öffentlichen Raum an diesem Tag Schwimmbrille. Vor 20 oder auch zehn Jahren gab es dafür Aufmerksamkeit. Dieser Tage scheint sich niemand mehr über irgendwas zu wundern. Als ich am Potsdamer Platz wieder zum U-Bahn-Bahnhof hinabsteige, wird für die umgebaute Mall geworben, diesen Hotspot urbanen Lebens: „Wo aus Alltag Action wird – potsdamerplatz.de“ steht auf dem Plakat. Klingt heute eher bedrohlich als bescheuert.
In der Volksbühne sind Pink Wonder bereits durch, als ich ankomme. Mit Udo Butter & das Team und den Skeptikern geht es behäbig weiter. Dafür gibt im Foyer einiges zu gucken. Die Arbeitskämpfe, die über die Jahre vorgestellt wurden, sind nachzulesen. Es gibt ein Glücksrad, mit dem man sich einen Shot erdrehen kann. Das meiste ist nicht richtig lecker, kostet aber auch nur einen Euro. Ich ziehe weiter zu Freunden.
Dass die schöne Tradition des alljährlichen Neujahrskonzerts in der Volksbühne unter die Räder gekommen ist, hat auch sein Gutes. So landen wir bei Erobique im Festsaal Kreuzberg. Dessen Neujahrsshows sind längst Tradition. Endlich mal eine Premiere – nicht nur Abschiede. Das Neue Jahr liefert, bis jetzt. Anders als im Theater kann man im Festsaal allerdings nicht im Sessel hängen und den Kater streicheln. Die meisten waren offenbar früh im Bett und sind daher am 1. Januar top in Form. Euphorieschwaden umwabern uns. Der munter orgelnde Erobique und sein Drummer spielen Pingpong mit ihrem flummiartigen Disco-House. Stundenlang. Es bleibt dennoch kurzweilig. Ganz großes Tischtennis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen