: Ausgeburt der Puppenkiste
Der Stoff, aus dem die Helden sind: Die Puppetmastaz sind die HipHop-Formation der Stunde. Sie wirken lebendiger als manche, die derzeit in Deutschland zum Superstar geklont werden
von SUSANNE MESSMER
Das Maria am Ufer ist voll. Hunderte stehen vor einer Bühne, die seltsam verschoben wirkt, irgendwie angehoben. Das Licht geht aus, fette HipHop-Rhythmen setzen ein, großer Jubel bricht los, und hinter der Balustrade auf der Bühne erscheint eine seltsame Schar ziemlich zerknautschter und hässlicher Handpuppen. Eine, die wohl einen Frosch darstellen soll und einen überdimensionalen Patronengurt trägt, nickt mit dem Kopf linkisch im Takt und wippt mit dem Oberkörper, hebt das, was seine Hand sein soll, quakt „Yo!“ und im Publikum schnellen Arme nach oben und die Stimmung schnappt fast über. Was ist hier los? Hat die Berliner Jeunesse dorée den Verstand verloren? Regredieren sie jetzt alle zu infantilen Kleinkindern?
Es gibt zur Zeit wohl kaum eine albernere, aber gleichzeitig auch witzigere und irgendwie einleuchtendere Idee auf dem Berliner Musikmarkt als die Puppetmastaz. Seit fast zwei Jahren geistern sie durch Berlins Clubs und Medien, die immer wieder gern die Legende vom Maulwurf Mr. Maloke aufgreifen, dem Chef der Truppe mit dem zerknitterten Zylinder, der aus Crooklyn kam, um Berlin zu zeigen, was richtiger HipHop ist. Oder von Snuggels, dem lispelnden Hasen, der auch in der schwärzesten Nacht noch Sonnenbrille trägt, damit er nicht im Scheinwerferlicht erstarrt. Niemand weiß zu sagen, aus wie vielen Puppen genau diese Band besteht, die so gar nichts mit kunsthandwerklichem Puppenspiel zu tun haben will. Alle sehen sie blendend abgefuckt aus, tragen schicke Clubwear und Schlafanzüge aus Satin, neben Fröschen, Hasen, Maulwürfen gibt es auch noch Nashörner und andere ganz undefinierbare Wesen (Pinguine?, Kamele?). Und bei jeder Show scheinen mehr von ihnen ins Spiel zu kommen.
Wie um die Idee der Boygroup auf den Kopf zu stellen, nennen sich die Puppetmastaz Toygroup und drehen den Mythos der unheimlichen künstlichen Lebewesen um, die wir Menschen schaffen, um uns den Göttern gleich zu machen und uns anschließend zu begruseln, wenn sie sich mit eckigen Bewegungen und metallischer Stimme auf ihren eigenen Weg machen. Die Puppetmastaz haben in ihrer Kälte nichts Menschliches wie der Golem, Frankenstein, Terminator oder Lara Croft, vielmehr ist das einzig Seelenlose an der Liebenswürdigkeit dieser Puppen, dass sie es den Menschen gleichtun. Sympathischer, authentischer und lebendiger als ihre menschlichen Pendants, die am Reißbrett entworfen wurden, sind sie, auch selbstironsicher als menschlicher HipHop, der manchmal so sexistisch und selbstgerecht geworden ist.
Weniger an die ernsten, bedeutungsschweren Maschinenmasken von Kraftwerk oder Daft Punk knüpfen sie an, weniger an virtuelle Popstars wie die Gorillaz, die vor allem für die Kaufkraft jugendlicher Zielgruppen programmiert wurden, sondern eher an Tierpuppen – an Flat Eric, den Technoteddy, der für Levi’s warb, und vor allem Jim Hensons Muppets, die sowieso immer viel reeller wirkten als die menschlichen Ehrengäste ihrer Show. Vollkommen folgerichtig ist es also, dass die Macher der Puppetmastaz inkognito bleiben wollen, dass man an jenem Abend im Maria energisch den Vorhang vor der Nase zugezogen bekam, wenn man einen Blick hinter die Kulissen werfen wollte.
Man muss die Puppetmastaz nicht gesehen haben, um ihre Platten toll zu finden – wenn man auch auf keinen Fall ihre nächste Show verpassen sollte. Ihr erstes Album „Creature Funk“, das gerade erschienen ist, kann man hören wie jedes gute andere HipHop-Album auch, nur dass man dabei viel mehr Spaß hat. Die maßlosen Hymnen auf das Dasein als Beach Bumm, als Honey Bunny und Busenwunder – „a ha ha und wu-wa-wu“ –, das treibt sogar auf den Gipfel, was Witzblattfiguren wie Shaggy so zustande bringen. Zwischendurch kreischt ein Hase: „Mirror mirror at the walls, who’s the puppet with the biggest balls“, ein andermal muss irgendjemand nachdrücklich betonen: „It’s me, not Michael Jackson.“
Und dazu diese Musik, dieser anarchische Geschepper. Man könnte es Commodore-gesteuerten Minimalpower nennen, eine anarchistische Rappelkiste auch. Manchmal klingen die bollernden Breakbeats mindestens so bedrohlich wie bei DAF, aber dann klingelt plötzlich ein Telefon, jemand rülpst, eine Sitar kommt ins Spiel, eine Wurlitzer aus dem Zirkus oder Hammondorgel aus der Geisterbahn, jeder Gefährlichkeit geht die Puste aus und das echte Froschquaken, das Rhythmusschleifen schlägt, macht einen endgültig zum Deppen, wenn man dazu begeistert durch die Wohnung tanzt.
Übrigens gab es aus dem Maria auch noch eine Neuigkeit zu vermelden: Die Puppetmastaz sind jetzt keine reine Boygroup mehr: Sie sieht ein bisschen aus wie die kleine, dreckige Schwester von Miss Piggy und disst die Männer, bis sich die Mikros biegen. Menschliche Kolleginnen wie Peaches, die völlig ekstatisch vor der Puppenbalustrade herumzappelte, sich unter großem Gejohle einen der Frösche schnappte und allen Ernstes symbolisch vergewaltigte, haben eine Konkurrentin bekommen.
Puppetmastaz: „Creature Funk“ (Labels)