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„Auschwitzlüge auf türkisch“

■ Eine private türkische Kabel–TV–Anstalt und ein türkischer Dachverband organisieren in Berlin eine Unterschriftensammlung gegen Anträge im Europa–Parlament und US–Kongreß, die den 24. April zum Gedenktag für die Massaker an den Armeniern machen wollen / Das Verdrängen und Vergessen als „vaterländische Pflicht“

Aus Berlin Christoph Albrecht

Zur gleichen Zeit, als am vergangenen Donnerstag der israelische Staatspräsident Herzog bei seinem Berlin–Besuch von der Vergangenheit sprach, „die wie eine unsichtbare Mauer zwischen unseren Völkern steht“, erschien der Chefredakteur der privaten türkischen Kabel–TV–Anstalt ATT auf dem Bildschirm und forderte seine Landsleute in Berlin auf, eine Resolution gegen die Einrichtung des 24. April als Gedenktag an den Völkermord der Türken an den Armeniern zu unterschreiben. Anlaß zu dieser Unterschriftenaktion gab ein diesbezüglicher Antrag des belgischen Abgeordneten Jaak Vandemeolebrouke (Regenbogen–Fraktion) im Europa–Parlament und eine Initiative der Demokraten im US–Kongreß, die per Gedenktag eine internationale Anerkennung des Genozids fordern. Am 24. April 1915 wurden in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, 600 führende Armenier unter dem Vorwurf des Hochverrats verhaftet und anschließend bis auf einzelne umgebracht. Dieser Tag gilt als Auftakt zu großangelegten Verfolgungen, denen bis 1922 ungefähr 1,5 Millionen der 2,8 Millionen Armenier zum Opfer fielen. 35.000 Unterschriften gegen eine „Lüge“ Deniz Olcayto, Chefredakteur bei ATT, agitiert seine Landsleute nicht mit aggressiven Reden, sondern eher auf die väterliche Art, doch in der Sache ist er eisenhart: „Für jeden Türken ist es eine vaterländische Pflicht, an dieser Unterschriftensammlung teilzunehmen. Solange die Türkei kein Mitglied in der EG ist, kann sie nichts machen, wir aber leben in der EG, deshalb müssen wir protestieren gegen die Lüge von angeblichen Massakern an den Armeniern.“ 35.000 Unterschriften will er in dreieinhalb Wochen bis zum 24. April gesammelt haben und damit zeigen, daß „allein die Türken aus Berlin mehr Leute gegen den Antrag des belgischen Abgeordneten auf die Beine bringen als das belgische Volk Soldaten hat“, so Olcayto zur taz (Belgien hat 32.000 Soldaten). Über 20.000 Unterschriften liegen bis jetzt schon vor. Der Text der Resolution ist - mißt man ihn an der chauvinistischen bis hetzerischen Sprache, mit der die Armenien–Diskussion in der Türkei in der Regel geführt wird - „dezent“ gehalten. „Ich bin ein Türke und lebe in einem Land der EG. Mit meiner Arbeit und der aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben trage ich z Abstimmung, nach dem Türken beschuldigt werden, Vernichtungsaktionen gegen Armenier durchgeführt zu haben. Dieses ist eine Verzerrung historischer Ereignisse, die nicht geeignet ist, ein friedliches Zusammenleben der beiden Völker zu fördern. Ich protestiere gegen eine pauschale Verurteilung des türkischen Volkes durch einen solchen Gedenktag und fordere die Abgeordneten des Parlaments auf, diesen Antrag abzulehnen.“ „Laß mal Geschichte Geschichte sein“ Unterstützt wird die von Olcayto initiierte Unterschriftenaktion von einem der beiden türkischen Dachverbände Berlins. Er besteht aus kleineren politischen Gruppen, türkischen Kaufleuten und der laizistischen, türkisch–islamischen Religionsanstalt. Diese „Türkische Gemeinde“ wehrt sich heftig gegen das Etikett, eher dem Mitte–Rechts– Spektrum anzugehören. Ihr Vorsitzender Zafer Ilgar bezeichnet den Verband als „überparteilich“. „Mit Sachpolitik wollen wir die Leute gewinnen, mit ideologischen Gruppierungen kommen wir nicht weiter.“ Ilgar, der in der Vergangenheit eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit gemacht hat als der zum linken Spektrum zählende „Türkische Bund“, will ausdrücklich „nationalistische Töne vermeiden“. Doch die offizielle Geschichtsdarstellung aller dem Massaker folgenden türkischen Regierungen, daß eine „örtliche Verlagerung bestimmter Bevölkerungsgruppen“ stattgefunden habe (Olcayto spricht davon, daß man „die Armenier nach Süden geschoben“ habe), stellt er nicht in Frage. „Laß mal Geschichte Geschichte sein, das sind lange, lange zurückliegende Ereignisse.“ Immer wieder weist er darauf hin, daß die Unterschriftensammlung eine „allgemein anerkannte, friedliche Methode“ sei, seine Meinung kund zu tun. Und in einem eleganten Schlenker verbindet er diese Protestaktion mit den fehlenden politischen Rechten der ausländischen und damit auch türkischen Bevölkerung: „Wir haben bis heute alles zu sehr hingenommen, wenn wir uns nicht wehren, bekommen wir niemals Rechte“. Doch das lange Zurückliegen der Ereignisse hat den Armeniern nichts von ihrem Trauma genommen. „Jetzt sind wir so weit weg im Exil, aber die Geschichte holt uns doch immer wieder ein.“ Chahin Zeytounchian, Mitglied im Vorstand der armenischen Gemeinde in Berlin, bezeichnet das hinter der Unterschriftenaktion stehende Gedankengut als „die Auschwitzlüge auf türkisch“. Er empfindet sie so, „als hätte mir jemand einen Brocken ins Gesicht geschmissen“. Chahin Zeytounchian, Nachkomme von Überlebenden der Massaker, spricht davon, daß in der einige hundert Köpfe zählenden armenischen Gemeinde in Berlin „helle Empörung“ herrsche. „Wir haben in den letzten Tagen auch Anrufe bekommen von Armeniern aus der Türkei, die diese Frage bisher verdrängt hatten. Sie sind sprachlos und hilflos und können nicht verstehen, daß von deutscher Seite keine Stellungnahme zu diesen Geschichtsfälschungen kommt.“ „Wir haben ja nichts gegen diese Leute“ Gefragt, was ihm an einem Gedenktag liege, meinte Zeytounchian, daß damit erst einmal eine internationale Anerkennung des Genozids erreicht werde, der bisher auch von den westlichen Ländern offiziell nicht zur Kenntnis genommen werde. Prinzipiell gehe es natürlich um materielle und ideelle Wiedergutmachung und „das armenische Volk will in seine Heimat zurück, in der es 3.000 Jahre gelebt hat“. Genau das befürchtet auch Chefredakteur Olcayto. Wenn der Gedenktag erst einmal installiert sei, „fangen die Armenier sofort an, in der Türkei Grundstücke zu fordern. Die wird ihnen der türkische Staat nicht geben und damit ist wieder Streit da“. Deswegen sei ein solcher Gedenktag eine „Schweinerei“ und er genieße angesichts des Verlaufs der Unterschriftensammlung „einmal in meinem Leben die Einheit der Türken“. Zafer Ilgar, der im Mai die Unterschriften in Straßburg beim Europäischen Parlament abgeben soll, hatte im Gespräch mit der taz ausdrücklich auf die Praxis seiner „Türkischen Gemeinde“ verwiesen, innertürkische Konflikte nicht öffentlich auszutragen. Auf die Frage, warum dann keine internen Kontakte zu armenischen Kreisen aufgenommen worden seien, bevor die Massenaktion gestartet wurde, meinte er, daß sei „ein guter Vorschlag“, daran habe er gar nicht gedacht. „Wir haben ja nichts gegen die Leute, sondern wollen sie alle zu Freunden gewinnen.“

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