: Ausblender raus!
Von falschen Siegern und wahren Verlierern im Gelobten Land, wo Milch und Honig fließen sollten
Von Michael Ringel
Das Rennen zwischen Hamas-Bunnies und Zion-Igeln geht jetzt schon anderthalb Jahre, sodass beide längst nicht mehr wissen, wer Falke oder Taube ist, geschweige denn, wer gewinnt. Aber mit Tiervergleichen haben sie es im Nahen Osten nicht mehr. Früher beleidigten sie sich gegenseitig in unüberwindlicher Abneigung als „Hund“ oder „Schwein“, inzwischen greifen sie lieber auf Menschenvergleiche zurück und bezichtigen sich in trauter Eintracht, die neue Bestie von Braunau zu sein. Und das ist dann endgültig die unterste Stufe der Beleidigungen: Mit Österreichern verglichen werden! Rucksackdeutsche mit schnarrendem Dialekt! Das ist die gerechte Strafe für Palästinenser und Israelis gleichermaßen.
Aber zurück vom kotelettförmigen Land in die Zentrale des Grauens: den Berliner Boulevard. Kürzlich schlagzeilte die B-Zeitung B.Z. auf ihrer Händlerschürze am Straßenrand „Palästina-Prügler raus aus Deutschland“. Was eindeutig zweideutig ist, denn eigentlich waren die Hamas-Bunnies mit ihren Spültüchern um den Hals gemeint, die auf einer Demonstration in der Hauptstadt Polizisten attackiert hatten. Allerdings prügeln derzeit auch die Zion-Igel mächtig auf Palästina ein. Die können aber schlecht rausgeworfen werden – nicht aus Deutschland und erst recht nicht aus Israel.
Die unsägliche Parole „From the river to the sea“ sollte besser ersetzt werden durch den sonnigen Trinkspruch „From the milk to the honey“. Ist doch das biblische Israel das Land, in dem Milch und Honig fließen. Nicht umsonst heißt ein feiner israelischer Whisky „M+H“ und schmeckt nach „Milk and Honey“. Es könnte so schön sein im Gelobten Land. Nichts für abstinente Hamas-Bunnies, die keine Lebenslust ausstrahlen und vom kalten Hauch der Todessehnsucht umweht werden.
Die Schlagzeile „Palästina-Prügler raus aus Deutschland“ lässt bewusst den alten Nazi-Slogan „Ausländer raus! Deutschland den Deutschen!“ anklingen und verdeutlicht, wes Geistes Kind da am Springer-Werk ist, wo der luftleere Raum zwischen den Ohren besonders gern mit heißer Luft gefüllt wird. Dabei müsste es doch eher „Ausblender raus!“ heißen. Denn die größte Dummheit unserer Zeit ist das Ausblenden.
In tapferer Sachlichkeit hängen die Nachrichtenagenturen ans Ende jeder ihrer täglich unzähligen neuen Meldungen zum Gazakrieg die fast immer gleiche Formulierung: „Der Krieg im Gazastreifen ist durch den Großangriff der islamistischen Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden sind.“
Man kann es nicht oft genug wiederholen. Das war der Anlass für alles, was danach geschah. Was leider viel zu viele mittlerweile ausblenden oder mit dem Whataboutism-Argument widerlegen wollen, es gebe eine Vorgeschichte, die nicht im „luftleeren Raum“ begann, wie der UN-Generalsekretär António Guterres kundtat, der auch nicht die hellste Funzel ist, wenn er den empathielosen Hamas-Bunnies Futter gibt für ihre widerwärtigen Kampagnen. Als ob eine Vorgeschichte Unmenschlichkeit abmildern könnte.
Und wer jetzt einen abgewogenen Schluss erwartet, bei dem beide Seite für ihr inhumanes Verhalten gerügt werden, der soll zu Recht enttäuscht sein. Ab- und Ausgewogenheit kann es nicht geben, wenn Antisemitismus die Antriebsfeder ist und nach dem Gemetzel des 7. Oktobers auf der arabischen Straße der blanke Judenhass mit Süßigkeiten gefeiert wird. Deshalb fällt die Waagschale in Richtung einer nicht zu leugnenden Schuld, die nur einen Schluss zulässt: Die Hamas muss weg!
Der Preis dafür ist hoch. Jedes Menschenleben zählt. Wer nur eines rettet, rettet die ganze Welt. Doch anders als beim Rennen zwischen Hase und Igel gibt es am Ende dieser Kriegsrunde keinen wahren Sieger. Auch wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits kurz nach einem Waffenstillstand wie bei jedem Palästina-Krieg wieder ein Hamas-Bunny vor die versammelte Weltpresse treten wird, um mit den rauchenden Trümmern von Gaza im Hintergrund zu behaupten, die israelische Armee sei vernichtend geschlagen worden, einziger Sieger in dieser Mutter aller Schlachten sei die Hamas! Und der Zion-Igel lacht sich ins stachelige Fäustchen.
Paläsrael ist und bleibt geprägt von dieser einzigartigen Mischung aus Größenwahn und Selbstbetrug, in dem sich alle Beteiligten so ähnlich sind, als wären sie mindestens achtzig Jahre verheiratet. Und irgendwie sind sie das ja auch, seit ein niederträchtiger Oberösterreicher den Dämon entfesselte. Dann bis zum nächsten und nächsten Rennen zwischen Hase und Igel. Im Märchen sind es 74, und es gibt kein Happy End.
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