■ Aus polnischer Sicht: Alle Polen sind Katholen
Alle Polen sind Katholen. Und alle polnischen Katholiken sind erzkonservativ und doof; am liebsten würden sie die Frauen für Abtreibung mit dem Tod bestrafen, Religionsunterricht obligatorisch machen und den Mädchen Keuschheitsgürtel bis zur Heiratsnacht anlegen. Wenn es so stimmte, wäre das Bild Polens so viel leichter zu rekonstruieren. Leider sind auch diese Klischees falsch, wie zum Beispiel das von der Guardini-Stiftung und dem Klub der katholischen Intelligenz Warschau (KIK) in Obory organisierte Seminar zum Thema „Umgang mit der Freiheit nach dem Untergang des Totalitarismus“ bewiesen hat. Vernünftige, offene, hochgebildete Menschen haben dort ganz offen zu allen aktuellen Problemen der polnischen und auch der anderen postkommunistischen Gesellschaften geredet. Die katholische Kirche, die massiv dazu beigetragen hat, daß die Polen ihre innere Freiheit bewahrt und die politische Souveränität wiedergewonnen haben, befindet sich selbst in einer Krise, wie auch die ganze Gesellschaft, die in der neuen Lage große Schwierigkeiten hat, mit sich selbst klar zu kommen.
Das Treffen mit katholischen Intellektuellen aus dem Kreise des Warschauer KIK war sehr erfrischend; Jan Turnau, Piotr Wojciechowski, Stanislawa Grabska und andere sind sehr besorgt über die Rolle der Kirche und der sogenannten christlichen Parteien im politischen Leben des heutigen Polens. Das Referendum, das sich gegen das Abtreibungsgesetz in der Form richtet, die im Parlament vorbereitet wurde, hat schon über eine Million Unterschriften gesammelt, und die Entschlossenheit, mit der die PolInnen diesen Akt des zivilen Ungehorsam vollziehen, dieser Widerstandsenthusiasmus ist besonders gefährlich für die Kirche. Jerzy Turowicz, der führende Kopf des Tygodnik Powszechny, einer Krakauer katholischen Wochenzeitung, die jahrzehntelang eine prinzipiell opppositionelle Haltung gegenüber den Kommunisten vertreten hat, befindet sich derzeit im offenen Konflikt mit den Ultrakatholen von der Christ-Nationalen Vereinigung, die ihn exkommunizieren wollen. In einem Großinterview für Adam Michnik (Gazeta Wyborcza) bedauert er die Politisierung der Kirche, die ihr massiv schade. Auch Stanislawa Grabska, eine Professorin der Theologie in Warschau und Vorsitzende des dortigen KIK, meint, daß die wichtigste Ursache des Antiklerikalismus der Klerikalismus sei. Doch der polnische Katholizismus ist wahrscheinlich nicht ganz am Ende, wenn ein 13jähriges Mädchen mit der Frage „Lohnt es sich, die Jungfräulichkeit zu verlieren“, zu Oma, der besagten Professorin der katholischen Theologie, kommt (wer soll das besser wissen?) und eine vernünftige Antwort bekommt. Welche? Fragt Eure Oma! Piotr Olszowka
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