■ Aus polnischer Sicht: Moabit-Hilton
Das beliebteste Hotel Berlins ist für meine Landsleute nach wie vor das Moabit-Hilton. Das berühmte Haus, in dem schon viele Staatsoberhäupter residiert haben (darunter Jozef Pilsudski und Erich Honecker), wird vor allem seines hervorragenden Preis/Leistungsverhältnisses wegen hoch geschätzt: keine Zuzahlung für ein Einzelzimmer, internationale Gäste, freundliches Personal, sehr gute Lage mit schönen Aussichten und kalorienbewußte Verpflegung sind eine Selbstverständlichkeit.
Diese grundsätzlich positive Einschätzung bleibt von der Tatsache unberührt, daß die medizinische Pflege dieses Renommé-Hauses dann und wann einige Schönheitsfehler aufweist. Unglücklicherweise (ein purer Zufall!) passieren die kleinen Pannen meistens ausgerechnet bei den polnischen Kunden.
So konnte zum Beispiel ein Kfz-Kaufmann aus Danzig, der sich bei der Buchung des Moabit-Hilton der Gastfreundschaft des staatlichen deutschen Reisebüros durch das Fenster entziehen wollte und sich dabei beide Beine brach, während seines siebenmonatigen Aufenthaltes nicht operiert werden. Der Mann ist inzwischen in Danzig und mit 25 Jahren ein Krüppel. Der Hotel-Direktor hat den Mann – auf Anweisung des Reisebüros in der Turmstraße 91 – dreimal aus dem OP- Saal geholt, darunter einmal bereits betäubt.
Ein anderer Mann, ein Cäsium-Kaufmann, gastiert schon seit Juli letzten Jahres im Moabiter Palais. Im August stellte eine Ärztin einen Rachenkrebs bei ihm fest, der anschließend jedoch von anderen Ärzten als eine Schilddrüsenkrankheit eingestuft wurde. Erst vor einigen Wochen hat man mittels einer Computertomographie diese Fehldiagnose korrigiert und nunmehr durch eine Kommission von drei Ärzten dem Patienten offiziell mitgeteilt, daß er todkrank sei – Krebs im Endstadium. Mehrere alarmierende Briefe des kranken Gastes an das Reisebüro blieben ohne Antwort. Weil er noch immer wahnsinnige Schmerzen und Blutungen aus dem Anus hat, bat er mehrmals um eine Untersuchung dieser Blutungen, eine mitgebrachte Probe wies der Arzt jedoch ab, da er in der Probe das Blut einer von dem Mann getöteten Taube vermutete.
Ein dritter Mann, ein Drogist, hat durchgedreht. Er spricht mit keinem, erkennt seine Frau bei Besuchen kaum, ist so depressiv, daß er nicht einmal in der Lage ist, ein Weihnachtspaket zu beantragen und auch physisch völlig am Ende. Der Hoteldirektor weigert sich seit neun Monaten, den Gast untersuchen zu lassen.
Wenn es so weitergeht, kann es durchaus passieren, daß die polnischen Gäste auf das Kempinski-Hotel ausweichen und das Moabit-Hilton Pleite macht. Piotr Olszowka
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