Aus für Kieler Sexualmediziner befürchtet: Trübe Aussichten für die Opfer
Das Kieler Institut für Sexualmedizin genießt wegen seiner Präventionsarbeit einen guten Ruf in der Fachwelt, bei der Justiz und in Teilen der Landespolitik. Doch die Finanzierung wackelt, das Haus macht Miese.
RENDSBURG/HAMBURG taz | Die "Sektion für Sexualmedizin" in Kiel ist in Gefahr: Die Abteilung des angeschlagenen Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) macht Minus - es kursiert die Zahl von 155.000 Euro. Deshalb werden Mitarbeiter abgezogen, möglicherweise droht die Schließung. Für den schleswig-holsteinischen Richterverband sind die Kürzungen "unverantwortlich".
Das Kieler Institut ist das einzige seiner Art im Land. Lehrstuhlinhaber Professor Hartmut Bosinski und sein kleines Team behandeln Frauen und Männer mit sexuellen Problemen, sowohl organische Störungen als auch Neigungen wie etwa Pädophilie. Gerade für die davon Betroffenen holte Bosinski das Projekt "Dunkelfeld" nach Schleswig-Holstein, ein Angebot für Pädophile, die "Kein Täter werden" wollen, so der Name des verwandten Angebots an der Berliner Charité. Neben Behandlung und Forschung, etwa zur Geschlechtsidentität, gehören gerichtliche Gutachten zu den Aufgaben der Sexualmediziner. Unter anderem geht es um die Frage, ob ein Sexualstraftäter mutmaßlich rückfällig wird.
Das UKSH prüft, die Sexualmedizin an das Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP) auszulagern, einen Tochterbetrieb des UKSH. Was für Folgen dieser Schritt für das Angebot hätte, ist unklar. Auch, ob er die finanziellen Probleme lösen kann.
Nach eigener Darstellung gehört zu den Aufgaben der Kieler Sektion für Sexualmedizin:
Patientenversorgung: bei sexuellen Störungen, Störungen des soziosexuellen Verhaltens, Problemen der Findung der sexuellen Identität
Service: Gutachten bei Sexualstraftätern, Beratung von Behörden, Ärzten und Heimen, Therapie von Sexualstraftätern im Regelvollzug
Forschung: Verarbeitung sexueller Reize, Geschlechtsidentität, Konzepte zur Behandlung von Menschen mit abweichenden sexuellen Neigungen
Lehre: Vorlesungen für Studenten der Medizin, Jura, Psychologie, Pädagogik und Biologie
Der Richterverband, der auch Staatsanwälte vertritt, setzt sich massiv für das Institut ein: "Ohne Fachgutachten sind vor allem die gravierenden Fälle für Richter und Staatsanwälte nicht zu bearbeiten", sagt der Vorsitzende Wilfried Kellermann. Die Arbeit des Instituts sei "hervorragend". Eine Streichung der Mittel treffe letztlich die Opfer. Bei einer Tagung im Herbst hatte Bosinski davor gewarnt, Gerichtsgutachten Therapeuten mit fehlender Erfahrung auf diesem Gebiet zu überlassen. Auch kostenlose Kurse und von Nicht-Therapeuten geleitete Beratungsgruppen könnten kein Ersatz für die Arbeit von Fachleuten sein.
Der Professor zählt zu den renommiertesten Forschern seines Faches in Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft wählte Bosinski kürzlich zu einem ihrer Vorsitzenden. Das schleswig-holsteinische Wissenschaftsministerium kritisiert aber Bosinskis "Publikationsleistungen" als unterdurchschnittlich. Zeitweise habe Bosinski auf Platz 103 von 117 Professoren der Kieler Christian-Albrechts-Universität gestanden. "Damit ist der Bereich der Forschung nicht besonders ausgeprägt", heißt es in der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage.
Doch in der Landespolitik gibt es auch Unterstützer, nicht nur in der Opposition. Kirstin Funke, forschungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, sagt: "Die Sektion für Sexualmedizin des UKSH leistet hervorragende Arbeit für unser Land." Diese Arbeit müsse fortgeführt werden, "da wir auf gut ausgebildete Gutachter im Bereich der Sexualmedizin nicht verzichten können". Der Grüne Rasmus Andresen sieht eine Mitverantwortung der schwarz-gelben Koalition für die "Unterfinanzierung der Hochschulen", die zum Druck auf die Unis führe. Das Justizministerium will die Vorgänge nicht kommentieren, das Wissenschaftsministerium verweist bei Presse-Anfragen zum Fall an das UKSH.
Dort fährt die Leitung einen strikten Sparkurs. Als Folge konzentriert sich das UKSH auf die Kernaufgabe, wie Sprecher Oliver Grieve sagt: "Wir sind für Krankenversorgung zuständig." Es sei schön, dass die Forschung und Gutachten der Sexualmedizin gelobt würden - "aber dann muss die Finanzierung stimmen". Jede Abteilung müsse sich wirtschaftlich tragen, durch Krankenkassenleistungen oder Drittmittel. Das tut die Bosinski-Sektion bisher nicht.
Die Idee, die Sektion an das ZIP zu verschieben, hält Grieve für "theoretisch denkbar". Allerdings könne das Klinikum darüber nicht allein entscheiden: "Wir müssen uns mit der Uni Kiel ins Benehmen setzen, der Aufsichtsrat muss entscheiden."
Bei der Hochschule fühlt man sich nicht für die Kürzungen verantwortlich: "Die Universität hat mit den unternehmerischen Entscheidungen des UKSH nichts zu tun, hält sie an dieser Stelle aber für problematisch", sagt Präsident Gerhard Fouquet.
Die Universität finde es "äußerst bedauerlich", dass es nicht gelungen sei, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, sagt Fouquet. Deshalb wolle man zu einem runden Tisch einladen - man suche nach einem Termin ab Mitte Februar.
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