Aus der Zwischenzeit: Abends saufen, tagsüber fernsehen
■ Wattebärte, die an Pausbacken kleben, Pamperspakete, Berliner, Bettler und Verrückte: Zwischen den Jahren geht's ans Eingemachte
Gibt es eigentlich viele Leute, die gebrauchtes Geschenkpapier wieder verwenden? Man kann die Tesafilmstreifen vorsichtig abziehen und ärgert sich nur, wenn jemand den Namen des Beschenkten einfach so mitten auf das Geschenk geschmiert hat, womöglich noch mit Edding. Dann kann man den ganzen Bogen wegschmeißen. Die zerknitterten Papiere glattzustreichen (angeblich hat einer meiner Verwandten so sogar gebügelt) und in „allgemeine“ (uni und Floralmuster) und „nur für Weihnachten“-(Kerzen- und Rentiermuster)-Haufen zu sortieren kann bei der richtigen Geschenkmenge die ganzen sechs Tage zwischen den Jahren einnehmen.
Nennen Sie es Geiz, nennen Sie es Umweltbewußtsein, es ist aber eher eine Art von Schrulligkeit, einer dieser Ticks, die ich trotz meines recht niedrigen Alters schon fleißig sammle. Solche Schrullen werden um Weihnachten herum immer besonders evident, weil erstens oft ältere Familienangehörige und damit Schrullenträger zu Besuch kommen und ihre Macken live vorführen (Omas, die komische Geräusche machen, Onkel, die nur mit vierlagigem Toilettenpapier können).
Und zweitens weil die Zeit zwischen den Jahren immer ans Eingemachte geht – im Fernseher singt eine schmalzige Männerstimme, daß „Kinderaugen Engel“ sehen, beim Zur-Tankstelle- Gehen kommt man an erleuchteten Wohnzimmern vorbei, aus denen man eine Ahnung Tannengrün plus Goldlametta erhascht, und was wartet bei einem selbst zu Hause? Ein olles Teelicht, wenn's hoch kommt.
Aber zurück zu den Schrullen, falls man keine dementsprechenden Familienangehörigen beobachten kann, muß man bloß in die paar Kneipen gucken, die offen sind – nur Verrückte und Berliner. Die Verrückten sitzen ab dem 23. an den Weihnachtstellern, die joviale Wirte zur Feier des Tages aufgestellt haben, und stopfen Lebkuchenherzen in sich hinein, die Berliner kommen ab dem 25., jüngere auch zum 24. nach der Familienfeier, sind betrunken und voll vom Fondue und ihren neuen Parfums. Und haben ihre Spendierhosenanzüge und -maxiröcke an. (Das wissen auch die Bettler unter den Verrückten.) Zwischen den Jahren trudeln auch immer die Briefe mit den gräßlichen Fotos von als Engel oder Nikolaus verkleideten Kindern ein. Es gibt wirklich nichts Bemitleidenswerteres als Pamperspakete mit verrutschten Flügeln oder Wattebärte, die an Pausbacken kleben. Aber diesen Tick kann man stolzen Eltern wohl nicht ausreden.
Ein anderer Brauch, der einem in der schlimmen Zeit unangenehm aufstoßen kann: Man macht sich schick für so ein gesellschaftliches Beisammensein, hofft darauf, daß man später (mit Alkohol) vielleicht auch noch einen netten Mann überreden kann, und dann soll man bei den Gastgebern die Schuhe ausziehen!! Und in kaputten Socken oder häßlichen Nylons über den „empfindlichen Parkettfußboden“ schlurfen. Ich mache das jedenfalls nicht mehr mit, wenn ich irgendwo die Schuhe ausziehen soll, dann gehe ich eben wieder. Wo kommen wir denn da hin, da könnten die Gastgeber ja gleich verlangen, den BH abzulegen.
Ein paar Harte feiern einfach durch, vom 24. bis direkt hinein ins neue Jahr, abends saufen, tagsüber fernsehen. Auch eine Möglichkeit, die merkwürdige Zeit totzuschlagen. Wenn es die Leber mitmacht, ist es okay, und für „Die Märchenbraut“ und Elvis in „König der heißen Rhythmen“ braucht man eh nur eine minimale Grundausstattung an Gehirnzellen. Obwohl: Diese Elvisfilme verstehe ich nicht mal nüchtern.
Aber es fällt auf, daß die Frauen in den Filmen, die fast immer auf Südseeinseln spielen, ein positiveres Verhältnis zur Barfüßigkeit haben. Elvis trägt allerdings meistens leichte Segeltuchschuhe oder Slipper, vielleicht waren die King-Füße ja schon früher als der Rest unansehnlich. Diese Art der Freizeitgestaltung ist aber wirklich nur zwischen den Jahren möglich, denn normalerweise ist Fernsehen bei Tageslicht Sünde.
Die Tagesschausprecherin (20 Uhr! Dunkel!) schmückt sich zwischen Weihnachten und Silvester mit einer kleinen Diamantentanne am Revers, und da fällt mir die „irre Weihnachtsdeko“ des Orthopädiefachgeschäfts um die Ecke ein: kleine Weihnachtsmänner, die an Beinprothesen herumrutschen, und schneeverwehte Stützstrümpfe. Leider gibt's das nur einmal im Jahr. Jenni Zylka
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