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Aus der Wirkwarenfabrik

■ Achtung „Schlampen“: Jetzt auch Bremen vom Unterkleid heimgesucht

eit im Second-Hand-Laden „Lieutenant Uhura“im Ostertor J'amuse-(ich amüsiere-)Exemplare im Schaufenster hängen, werden davor dickbäuchige, lange verharrende Männer beobachtet. „Ein Animierdress ist J'amuse aber nicht“, wehren eingeweihte Frauen ab. Hingegen handelt es sich um das gemeine Unterkleid, 100-prozentig Viskose, Spaghettiträger, bißchen Spitzen, vielleicht Blümchen oder Karo. Nur bedeutet J'amuse: Nicht mehr drunter, sondern drüber tragen. Am besten sogar doppelt übereinander, also definitiv blickdicht.

So will es der neue Anti-Schick, der sich laut Trend-Händler in München und Frankfurt (Berlin außer Konkurrenz) schon gut verkauft, und sich nun auch nach Bremen vorgearbeitet hat. Original-Unterkleider – zwanzig, dreißig, fünfzig Jahre alt – werden der Second-Hand-Renner des Sommers sein. Eigentlich hat ja Versace damit angefangen, die bis dahin bedeckte Mikrofaser aus dem Verborgenen auf den Laufsteg zu holen. Inzwischen sind Großsortierbetriebe dabei, den Altkleidersammlungen (Rotes Kreuz, Caritas) „Original-Nostalgie“zu entnehmen und dem deutschen Markt wieder rückzuführen. In den Läden kommt dann J'amuse als Paket an: Babyblau aus dem VEB Wernesgrüner Wirkwarenfabrik. Schwarz-Rot mit durchgängigem Netz-Besatz, Rosenornamentik. Orange mit Brüsseler Spitze. Rosa Baumwolle.

Die einst so gehaßte Unterwäsche von den DDR-Tanten ist damit endgültig hip. Seit zwei Monaten hat „Lieutenant Uhura“nun J'amuse-Kleider an den Stangen, und der Absatz ist enorm. „Die 14jährigen kaufen sich die für ihr Girlie-Programm“, sagt Meecks vom Laden. Die Frauen „um die Dreißig“dagegen – „Die einen picken sich die feine Spitze raus, die anderen finden's zwielichtig, und ich sag dann: Bißchen schrill, aber steht dir sehr gut! Hinterher kucke ich den Kundinnen glücklich nach.“

Soviel kreischende Farben, findet Meecks, tun den Frauen gut. Vielleicht sogar insbesondere den Bremerinnen. „Ist ja sonst alles Schwarz hier, Blau, im besten Fall noch Grau. Das hier, das sind Kleidchen! Das ist Stoff und Phantasie!“Frau W. (circa 28) hat sich ein edelrotes Nylon ausgesucht, zweifelt. Zwei Minuten später erscheint sie: Sehr adrett, sehr transparent. „Du mußt Radlerhosen drunterziehen“(Meecks). „Du mußt noch ein zweites J'amuse drüberziehen“(eine Freundin).

Zwei übereinander, das ergibt dann den absolut trendy Zwiebellook, sagt die Second-Hand-Fachfrau. „Das sieht eigentlich total schrecklich aus und ist megahäßlich.“Mikrofaser, Nylotex haben ja auch die Nobel-Designer in den Boutiquen: Ebenso durchsichtig, ebenso schräg, ungleich teurer, ungleich unbequemer. J'amuse dagegen ist so luftig und leicht wie ein Kittelschürzchen, keine eingebaute Stange, keine Drucknaht, kein Push-up. 40 Mark.

„Ich finde ja, daß J'amuse am besten zu einem bestimmten Kindfrau-Typ paßt“, erläutert Meecks und erinnert daran, daß in den letzten Jahren die Frauenmode doch sehr androgyn geworden sei. „J'amuse stellt jetzt das Androgyne wieder klar“, sagt sie. „Das Unterkleid leitet die neue Weiblichkeit ein. Das ist eine Spielwiese a la Lolita.“Begleitende Männer ließen sich übrigens durchweg schnell davon begeistern, und damit meine sie nicht die Fraktion an den Fensterscheiben.

Im Laden überlegt Frau W. inzwischen, wie sie J'amuse am treffendsten kombinieren kann. Einen Body drunter, ein Gazeshirt, oder doch nur den Wonderbra? Einen orange-blau gestreiften Schrabbelpulli unter den lila Pünktchen und Margeriten von Trikoha, Burgstädt, 40°-Wäsche? „Unbedingt Clogs dazu!“wirft Meecks ein. J'amuse ist Schlampenlook. „Geil.“

Schlampe Plahl

N.B. Vor vier Monaten rief die Berliner Stadtillustrierte tip die neuen Schlampen aus. Protagonistin Chloe Savigny – schauspielernd in Buscemis Kneipenstreifen Trees Lounge – durfte allen voran die Girlies entkulten. Haben jene etwas, was diese nicht haben? J'amuse womöglich.

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