„Aus der Not eine Tugend machen“

Professor Theo Beckers vom Institut für Freizeitforschung der Universität Tilburg, Niederlande, zur ganzheitlichen Erholungsformel der Firma „Center Parcs“  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Beckers, wie erklären sich Kulturpädagogen und Freizeitforscher den gigantischen Erfolg des „Alles-unter -einem-Dach„-Urlaubskonzepts des heutigen Marktführers Center Parcs?

Theo Beckers: Die Niederländer waren immer schon ein mobiles Völkchen, dennoch häuslich und familienbezogen. Der zunehmende Wohlstand in den 60er Jahren und der arbeitsfreie Samstag schufen das Bedürfnis nach bezahlbarem Kurzurlaub für die ganze Familie. Sporthuis Centrum, wie Center Parcs damals hieß, hat schlicht den richtigen Moment erwischt. Die Anfangsformel verhieß den Kurztrip in eine Traumwelt. Wer konnte sich damals schon eine Flugreise oder ein eigenes Farbfernsehgerät leisten. Bei Sporthuis Centrum war die Verbindung von Natur und Luxus Standard - und auch für geringe Einkommen erschwinglich. Heute spricht vor allem das sogenannte Midweek-Arrangement die neue Freizeitklasse an, Leute mit viel Kaufkraft und wenig Zeit. Nichts wird dem Zufall überlassen: Alle nur möglichen Bedürfnisse wurden eingeplant, klimatische Schwankungen ausgeschaltet.

Die Natur ist, wie Center Parcs behauptet, nach wie vor Grundlage seines Produkts.

Das ist doch nur noch ein Mythos. Die meisten Standorte von Center-Parcs-Anlagen sind nach herkömmlichen Vorstellungen touristisch völlig unattraktiv. Diese Bungalowparks sind Urlauberghettos, isoliert von einer Umgebung, die ansonsten relativ trostlos ist und über keinerlei touristische Tradition oder Infrastruktur verfügt. Schlüssel des Erfolgs ist der hundertprozentig autarke Charakter der Center-Parcs -Formel. Ziel ist, die Gäste optimal an den Park zu binden; sie sollen ihr Geld auf das vielfältige Angebot der Firma verwenden und nicht etwa Tagesausflüge in die umliegende Natur oder Dörfer unternehmen.

Der Sonne kommt, wie Vertreter gerade Ihrer Zunft herausbekommen haben, in der Freizeit für die Menschen eine unvergleichlich große Bedeutung zu.

Vergleichen Sie dieses Bedürfnis doch mal mit dem Wachstum einer Tomate. Nach rein ökonomischen Gesichtspunkten benötigen sowohl die Tomate als auch der Städter zum schnellen und optimalen Wachstum Licht und Energie. Die Schaffung künstlicher Landschaften und die Beeinflussung der klimatologischen Gegebenheiten hat in den Niederlanden Tradition. Aus der Not eine Tugend machen hieß schon immer die Devise: Die Beherrschung der Natur um jeden Preis, nur, um daraus einen ökonomischen Vorteil zu ziehen. Wenn sich also in unseren Breiten die Sonne zu spärlich zeigt, um einen optimalen Effekt zu erzielen, machen wir eben selbst eine. Im übrigen ist eine solch artifizielle Welt doch kennzeichnend für den Tourismus gemeinhin.

Center Parcs strapaziert immer wieder das Argument, die Kommunen würden durch die Tausenden von Gästen einen ungeahnten Aufschwung erfahren.

Es gibt Hunderte von Gemeindevorständen im In- und Ausland, die sich um eine Ansiedlung reißen. Sicher ist, daß sich durch Immobilien- und Gewerbesteuer infrastrukturell vernachlässigte Kommunen sanieren können. Der ökonomische Effekt für den lokalen Mittelstand allerdings wird meines Erachtens maßlos überschätzt. Es gibt dafür im übrigen auch keinen Anhaltspunkt. Weder Center Parcs noch die Gemeindeverwaltungen stellen uns Daten zur Verfügung.

Ein Projekt solchen Ausmaßes könnte in einigen Fällen zu touristischer Übererschließung führen. Das hat zum Beispiel im niedersächsischen Bispingen zu einem vorläufigen Baustopp geführt.

In den Niederlanden hat es nach der Hochphase der Ökologiebewegung Ende der siebziger Jahre eine Tendenzwende gegeben. Solcherart Prestigeprojekte leiten in den Augen von vielen Bürgervätern ein neues Kapitel in der Geschichte ihrer Dörfer ein. Die ökologischen Aspekte sind in den Hintergrund gedrängt worden. Übriggeblieben ist die Diskussion um Rentabilität, um den Effekt, den eine solche Anlage auf die wirtschaftliche Infrastruktur im allgemeinen haben könnte. Allerdings gibt es kaum Alleingänge von lokalen Behörden. Das Projekt sollte den langfristigen Planungen touristischer Erschließung der regionalen und nationalen Behörden entsprechen. Beim Gesamtumfang unseres Landes ist das nicht weiter verwunderlich.

Nicht selten zerstören solche Großprojekte die gewachsene natürliche Umgebung. 400.000 neue Bäume sind noch kein Argument für optimale Umweltverträglichkeit. Erfährt Center Parcs großen Widerstand von Umweltgruppen?

Wir haben im vergangenen Jahr eine Untersuchung zu dieser Fragestellung durchgeführt. Es hat sich herausgestellt, daß der traditionelle Campingplatz, der unmittelbar in naturreicher Umgebung angesiedelt ist, der Umwelt weit größeren Schaden zufügt, indem die sogenannten Naturliebhaber das gesamte Areal als ihr Feriendomizil betrachten. Der geschlossene Charakter eines Center-Parcs -Lager verhindert dies. Die trostlose Umgebung vieler Center Parcs lädt auch nicht gerade zur Erkundungstour ein. Aus Gesprächen mit Vertretern von lokalen Umweltgruppen zeigte sich, daß sie nach einiger Betriebszeit beruhigt waren; die Leute blieben schließlich in ihren selbstgewählten Ghettos und die negativen Auswirkungen auf die Region waren relativ unbedeutend.

Gibt es Beispiele erfolgreichen politischen Widerstands gegen den Bau eines solchen touristischen Großprojekts?

Center Parcs hat offenkundig aus den Fehlern ähnlicher Unternehmen gelernt. Diese nämlich hatten den normalen demokratischen Weg der Entscheidungsfindung gewählt und sich nach mehreren Instanzen eine Absage eingehandelt. Das frühzeitige Publikwerden eines solchen Vorhabens wirkt vom Standpunkt dieses Unternehmens kontraproduktiv. Die Unternehmensstrategie von Center Parcs ist ein Beispiel dafür, wie man die lokale Volksvertretung bei der Planung schlicht übergeht und schließlich, nachdem mit der Kommunalverwaltung alles unter Dach und Fach gebracht wurde, vor vollendete Tatsachen stellt.

Wie stufen Sie persönlich ein solches Ferienkonzept ein?

Ich bin da sehr ambivalent. Vom unternehmerischen Standpunkt her bewundere ich den Mut und den geschäftlichen Riecher von Herrn Derksen und seinem Team. Darüber hinaus, wenn es all diesen Leuten so viel Spaß macht, auf diese Art ihren Urlaub zu verbringen, muß es ja wohl reellen oder eingebildeten Bedürfnissen entgegenkommen. Wenn Sie mich fragen, was ich vom soziologischen Standpunkt davon halte, so bringe ich nur das Schlagwort menschliche Restkreativität ins Spiel. Center Parcs steht für die Abschöpfung gesellschaftlichen Mehrwerts - mehr nicht.

Interview: Henk Raijer