: Aus der Chlorchemie aussteigen
■ Stuttgarter Dioxin-Untersuchungsausschuß legt Bericht vor/ Ausstieg aus der Chlorchemie gefordert
Stuttgart (taz) — Die Parlamentarier zeigten sich mit ihrer Arbeit zufrieden. Der bundesweit einmalige Dioxin-Untersuchungsausschuß des baden-württembergischen Landtags habe die Gefährdung durch Dioxine grundlegend aufgearbeitet und damit eine „Pionierleistung“ über die Landesgrenzen hinaus vollbracht, zogen die Abgeordneten Bilanz, als sie gestern ihren Sachstandsbericht vorlegten. Daß darüber hinaus nicht alle Fraktionen ins gleiche Horn stoßen würden, stand von vorneherein fest. Während SPD und Grüne der Landesregierung und den Behörden vorwarfen, nicht nur beim Krisenmanagent der bekanntgewordenen Dioxinfälle kläglich versagt zu haben, verteidigte die CDU-Mehrheitsfraktion den eingeschlagen Weg und pochte auf die Vorreiterolle des Stuttgarter Kabinetts — die zumindest mit ihrem Dioxinmeßprogramm bundesweit Spitze waren. Ein gemeinsames Votum kam nicht zustande; lediglich auf den Vorschlag, eine Enquete-Kommission „Dioxin“ einzurichten, konnte man sich einigen. Eine Kommission könnte die verdienstvolle Arbeit des Ausschusses fortsetzen, der sich ein Jahr lang intensiv mit den Giftschwerpunkten im Land und der Expertendiskussion über Dioxingefahren beschäftigt hat. In der Bundesrepublik gelangt das als krebserregend, immunschädigend und erbgutverändernd geltende Ultragift tagtäglich in kleinen Dosen in die Umwelt. Die Hauptemittenten: Müllkippen, Müllverbrennungsanlagen, Aluschmelzen, aber auch Recycling-Betriebe, die Kabelreste, Autoteile oder Computermüll zur Metallgewinnung umschmelzen. Die flächendeckende Verseuchung ist bedrohlich angestiegen: Erwiesen sei, formulierte die SPD in ihrem Sondervotum, daß schon heute die Bundesbürger das 10- bis 20fache an Dioxin aufnehmen, als das Bundesgesundheitsamt (BGA) für vertretbar halte. Der BGA-Grenzwert liegt bei 0,1 Picogramm (billionstel Gramm) pro Kilo Körpergewicht. Der Apell von SPD und Grünen: angesichts der akuten Belastung sei es geradezu fahrlässig, weiter abzuwarten. Da sich die Wissenschaft mit einer Bewertung der Gesundheitsgefahr nicht einig sei und weiterer Forschungsbedarf bestehe, sollten politische Entscheidungen vorsichtiger getroffen werden, appellierte der Grünen-Abgeordnete Jürgen Rochlitz in seiner Stellungnahme. In umfangreichen Maßnahmenkatalogen schlagen Grüne und SPD vor, die Dioxinemmission durch einen raschen Ausstieg aus der Chlorchemie zu reduzieren: chlorhaltige Kunststoffe, Materialien und Zusatzstoffe wie PVC, Flammschutzmittel sollten verboten und an Dioxinschleudern strengere Grenzwerte angelegt werden. Die Stuttgarter Landesregierung will sich nun ein Jahr Zeit lassen, um aus den Empfehlungen die ihrer Ansicht nach notwendigen Schlüsse zu ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen