Aus der Autogesellschaft aussteigen

Siebter Bügerinitiativen-Verkehrskongreß in Hannover / Diskussionen über verkehrspolitische Themen zwischen Autokritikern, Verkehrsinitiativen, Gerwerkschaftern und zwei Vertretern der Volkswagen AG / Neues aus der „Geschichte des deutschen Autowahns“  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

„Es ist eine Legende, daß der Autoverkehr jemals umweltgerecht werden könnte“, heißt es in der Abschlußerklärung des siebten Bürgerinitiativen -Verkehrskongresses, zu dem sich am verganenen Wochenende in Hannover Mitglieder von rund 200 Verkehrsinitiativen aus dem ganzen Bundesgebiet getroffen haben. „Luftverkehr“, „Trampen“, die „Magnetbahn“ oder die „fußgängersichere Ampel“ - kein bedeutsames verkehrspolitisches Thema wurde in den 22 Arbeitsgruppen ausgespart.

Im Mittelpunkt stand allerdings der „Ausstieg aus der Autogesellschaft“. Der mitveranstaltende Berliner „Arbeitskreis Verkehr und Umwelt“ schätzt die Zahl der Verkehrsbürgerinitiativen auf etwa 2.000 im ganzen Bundesgebiet. Diese größte Bürgerinitiativbewegung, sagte Arbeitskreissprecher Karl Heinz Ludewig, formuliere seit den Erkenntnissen über weltweite Klimaveränderungen und über den Treibhauseffekt ihre Forderungen nach Reduzierung des Autoverkehrs drastischer. Der Ausstieg zumindest aus dem privaten Autoverkehr sei nun das Thema.

Mit der Frage, ob dieser Ausstieg „wirtschaftlich machbar“ sei, befaßte sich die zentrale Diskussionsveranstaltung des Kongresses, zu der auch zwei Vertreter der Volkswagen AG erschienen waren. Sie setzten zu einem Loblied auf den Prototyp des nur zwei bis drei Liter Sprit verbrauchenden „Öko-Polos“ an. „Das Verkehrssystem Straße würde heutzutage niemand noch einmal einführen“, setzte dem dann der Vorsitzende des Verkehrsklubs der Bundesrepublik Deutschland (VCD), Hans-Werner Senfft, entgegen. In der BRD würden jährlich für die Automobilproduktion drei Millionen Tonnen Rohstoffe verpulvert. Der gesamte Lärm in den Städten gehe auf das Auto zurück. Das Auto verbrauche Flächen für Straßen, Schrott- und Parkplätze, seine Emmissionen heizten die Atmosphäre auf. Im Straßenverkehr würden jedes Jahr 8.000 Bundesbürger getötet und 500.000 verletzt, darunter 50.000 Kinder. „Wo bleibt der Aufschrei wegen der 8.000 Toten?“ fragte Hans-Werner Senfft.

„Keine Alternative zum umweltfreundlichen Auto“ sah dagegen der Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung von VW, Werner Siebert. Vier Millionen Arbeitsplätze hingen in der Bundesrepublik direkt oder indirekt vom Automobil ab. 55 Prozent des gesamten Exportüberschusses würden durch den Verkauf von Autos erzielt: „Wir sind wohlhabend, weil wir bis heute auf das Automobil gesetzt haben.“ Für Autokritiker Winfried Wolf war eine „eine Alternative zum Autoverkehr machbar und auch finazierbar“. Ein Umbau des Verkehrssystems in den nächsten 15 Jahren, so rechnete Wolf vor, koste ungefähr 300 Millarden Mark. Soviel, wie für den Ausbau des Straßenverkehrs in den nächsten 15 Jahren fest verplant sei. Dem Arbeitsplatzargument trat der Kieler IG-Metall -Betriebsrat Hinrich Krey entgegen: In der Automobilindustrie drohe wegen der riesigen Überkapazitäten ohnehin ein gewaltiger Abbau von Arbeitsplätzen. Dies sei auch Konzernen wie Daimler-Benz bewußt, der sich jetzt zu einem gigantischen Rüstungsunternehmen diversifiziere. Die Gewerkschafter müßten sich jetzt, solange die Kassen voll sind, für die Umwandlung der Automobilproduktion einsetzen.

„Wenn wir die Pkws nicht produzieren, werden es andere Firmen tun. Das alles ist kein Problem der Hersteller, sondern der Öffentlichkeit“, erklärten schließlich die Vertreter der Volkswagen AG. Dem zumindest konnte auch der BI-Vertreter auf dem Podium, Holger Bergmann von der Fahrradinitiative Reutlingen, zustimmen: „Je mehr Leute wir überzeugen, auf das Auto zu verzichten, desto mehr andere Produkte wird die Industrie anbieten.“ „Wir müssen die ganze Diskussion über den Katalysator und über angeblich umweltfreundliche Autos aus unseren BIs verbannen“, forderte unter Beifall ein Redner aus dem Publikum. Der Katalysator verschaffe dem Fahrer des Verkehrsmittels Auto lediglich ein besseres Gewissen.

Der Kongreß hat sich auf zahlreiche aktuelle Forderungen verständigt: Tempo 30 auf allen innerörtlichen Straßen, Vorrang für die Sicherheit der schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Fußgänger, durch „baulich optimierte Zebrastreifen“ und die „fußgängersichere Ampel“. Bei „Grün“ für Fußgänger müßten abbiegende Autos „Rot“ haben. Das gleichzeitige Bundestreffen der „Grünen Radler“ fordert, daß Fahrradfahrer so nicht mehr verpflichtet sein sollen, einen vorhandenen Radweg zu benutzen, sondern auch auf die Straße ausweichen dürfen. So sollen auf den Radwegen Konflikte zwischen schnell fahrenden Radlern und Fußgägern vermieden werden.

Noch einmal uns Grundsätzliche ging es dann bei dem abschließenden Vortrag von Till Bastian, Geschäftsführer der „Ärzte gegen den Atomkrieg“, zur „Geschichte des deutschen Autowahns“. Anhand zahlreicher Quellenzitate belegte der Arzt und freie Schriftsteller, daß es der deutsche Faschismus war, der 1933 eine „verkehrspolitische Wende“ hin zum Automobil einleitete. Die deutsche Automobilsucht „blühte vor 1945 kräftig und trug nach 1945 ihre Früchte“.

Der „exzessive Gebrauch des technischen Machtmittels“ Automobil führe heute in der Bundesrepublik zu der europaweit höchsten Zahl von Verkehrstoten. In Einzelfällen ließe sich dieser Mißbrauch technischer Machtmittel durch narzißtische Kränkungen in der Kindheit erklären. Wenn man dieses Denkmodell auf das kollektive Verhalten der Deutschen übertrage, so lebe in der deutschen Automobilsucht die durch zwei Weltkriegsniederlagen gedemütigte Phantasie von der eigenen Grandiosität der Deutschen fort.