Aus Rot-Grün gelernt?: Neues Denken wurde verweigert
■ taz-Serie: Einblicke in das Funktionieren und Scheitern der Koalition von 1989/90
Prof. Dieter Schröder (SPD) war Chef der Senatskanzlei während der rot-grünen Koalition und später Oberbürgermeister von Rostock Foto: Andreas Schoelzel
Da war zuerst die Koalitionsvereinbarung für eine „streitbare Zusammenarbeit“. Dazu gehörte ein Koalitionsausschuß mit drei ständigen Mitgliedern von jeder Seite und vielen „BeraterInnen“ von der Basis. Es war vor allem die Basis der AL, die ihren gewählten Vertretern mißtraute und eine Neigung zu faulen Kompromissen unterstellte. Da ging es dann häufig nicht um einen für beide Seiten verträglichen Kompromiß, sondern um Triumph oder Unterwerfung. Die SPD sollte vorgeführt werden. Das Ergebnis war oft nur öffentlicher Lärm. Das hat genervt. Die BürgerInnen erwarten, daß Streit durch einen für alle akzeptablen Kompromiß beigelegt und nicht zum Dauerzustand erhoben wird. Lebhafte Diskussionen machen Spaß, aber beim Regieren geht es nicht nur um Spaß, sondern um notwendige Entscheidungen.
Die Koalitionsvereinbarung von 1989 war eine Verständigung auf ein neues Bild von der Stadt, gesprochen wurde von „Berlin“, gemeint war aber das ummauerte West-Berlin. Diese Epoche ging noch im selben Jahr zu Ende. Die taz kommentierte schon Anfang November 1989, man müsse die Stadt neu denken und nicht kleinkrämerisch an Vereinbarungen für West-Berlin mit „Zügen einer Dorfidylle“ festhalten.
Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten des Umgangs mit der neuen Lage der Stadt bietet die Planung der Buga 95: Am 19.10.89 hatte in Ost-Berlin ein Gespräch Mompers mit Günter Schabowski stattgefunden, bei dem uns klargeworden war, daß die Mauer noch vor Weihnachten geöffnet wird. Wie groß die Öffnung sein würde, das war noch ungewiß, aber es war sicher, daß es eine echte Reisefreiheit geben würde. Ich rechnete auf Anhieb mit einer halben Million Besucher. Dafür mußten weitere Übergänge in der Mitte der Stadt geschaffen werden. Davon unberührt machte die Umweltsenatorin am 1. November mit dem Senat eine Ortsbesichtigung zu den Plätzen entlang der Mauer, die sie gemäß der Koalitionsvereinbarung für die Buga 95 als „grüne Mitte“ entwickeln wollte. Zehn Tage später bauten wir durch dieses Gelände eine erste Straßenverbindung von der Leipziger zur Potsdamer Straße. Die Buga 95 hat in Cottbus stattgefunden.
Die Prämissen der rot-grünen Koalition hatten sich 1989 binnen Tagen völlig verändert, aber noch ein ganzes Jahr lang, bis zur Niederlage für Rot-Grün im Dezember 1990, wurde immer wieder über die Einhaltung der von der Geschichte überholten Koalitionsvereinbarung gestritten. Neues Denken wurde verweigert; wenn Walter Momper sich darum bemühte, wurde ihm das als Verrat und Entschweben in die große Politik vorgeworfen.
Einen solchen radikalen Wechsel in und um Berlin wird es hoffentlich nie mehr geben, eine neue rot-grüne Koalitionsvereinbarung wird insofern schon besser halten. Aber nicht nur die politische Lage hat sich gründlich geändert, auch die Partner der Vereinbarung von 1989 haben sich verändert. Die SPD ist wieder eine Gesamtberliner Partei, das Gewicht der Westberliner Abgeordneten in der Fraktion und die Wirkung ihres Politikverständnisses ist unvermeidlich zurückgegangen. Die Alternative Liste, in großem Maße auch eine Frucht des Aufbruchs von 1968, war eine sehr lokale West-Berliner Partei, sie muß sich heute – mit Bündnis 90 verbunden, das seine Wurzeln gerade in den Ereignissen von 1989 hat – als Bündnis 90/Die Grünen auf ganz Berlin orientieren. Rot-Grün 95 kann ganz anders werden als Rot-Grün 89. Und es wird vor ganz anderen Problemen stehen. Man denke nur an den Arbeitsmarkt und die Finanzmisere der Stadt.
Rot-Grün 89 war nicht nur ein politisches Zweckbündnis für vier Jahre, sondern es war eine gesellschaftspolitische Herausforderung. Das wurde auch bundesweit so begriffen und sehr kritisch begleitet. Nur ein Beispiel: Der Senat bestand aus acht Frauen und sechs Männern. Eine solche Landesregierung hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Nicht überraschen konnte, daß eine solche Regierung im amtlichen Schriftverkehr das „-In“ einführte. Das sollte helfen, über die allgegenwärtige Diskriminierung von Frauen in unserer Gesellschaft mehr nachzudenken. Das war kein Fehler. Diese Aufgabe ist noch nicht erledigt. Dieter Schröder
wird fortgesetzt mit einem Beitrag von Christian Ströbele
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