Aus HärnösandTypisch Deutsch Anne Diekhoff: Wilde Thesen und geräucherte Makrele
In unserem Chor gelte ich ungefragt als Expertin für Bach und Händel. Ich gebe mir alle Mühe, diese Illusion aufrechtzuerhalten, denn natürlich bin ich gerne eine Repräsentantin deutscher Hochkultur. Vor allem, wenn man bedenkt, was sonst noch zur Wahl steht. Aber, apropos Wahl, leider drängt sich gerade weniger Unverfängliches in den Vordergrund.
Als ich bei der Chor-Freundin M. zum Essen eingeladen bin, erzählt sie von einem deutschen Paar hier in der Gegend. (Deutsche kommen nach Schweden und kaufen Häuser: Auch das gilt hier als typisch.) Jedenfalls, M. serviert geräucherte Makrele und sagt, dieses Paar sei wohl ein bisschen rechts. „Die meinten, Deutschland sei auch nicht mehr das, was es mal war.“ Ah, ja. Ich verstehe ihre Indiziendeutung. Auch in Schweden sagen Menschen das über ihr Land, und man kann dann recht sicher darauf wetten, welche Schlussfolgerungen dem empörten Tonfall folgen.
Auf welcher Seite M. steht, ist klar. Sie feiert die SPD in Deutschland dafür, dass sie vom „Tor zur Hölle“ gesprochen hat, angesichts des CDU-AfD-Schachzugs neulich im Bundestag. Dann will sie von mir, der Expertin für alles Deutsche, wissen: „Wie kommt das mit der AfD?“
Es ist komplex, sage ich – bevor ich dann wohl doch vereinfache. Gut möglich, dass M. den Aufstieg der Partei jetzt als Folge ostdeutscher Wendetraumata abgespeichert hat. Bin nicht sicher, ob das wissenschaftlichen Standards genügt, aber tröste mich damit, dass die Schäden unzureichender Erklärungsversuche sich in diesem privaten Rahmen in Grenzen halten. Immerhin konnte ich faktenbasiert den Ruf von M.s deutscher Lieblingsstadt retten, in Münster hat man es ja nicht so mit der AfD.
Und ich stelle weiter munter Thesen auf: Ein Land ohne nationalsozialistische Katastrophenvergangenheit ist anfälliger für die Normalisierung von rechtsextremen Haltungen. Das Versprechen, dass man die Schwedendemokraten aus der Regierung raushalten wolle, bedeutet ja nicht mehr viel, seit Moderate, Liberale und Christdemokraten sie nach der Wahl 2022 offiziell zum Kooperationspartner im Parlament machten.
Noch warnt etwa die oberste Sozialdemokratin Magdalena Andersson unermüdlich vor den Folgen, sollten die Rechtsextremen künftig nicht nur Mehrheitenbeschaffer für die Minderheitsregierung, sondern tatsächliche Regierungsmitglieder sein. Aber die Christdemokraten haben schon mal die Klausel aus ihrem Programm gestrichen, die eine Koalition mit den Schwedendemokraten bislang ausgeschlossen hatte.
Rechte Parteien seien überall im Aufwind, stellte die Kommentatorin der Tageszeitung Dagens Nyheter kürzlich fest, aber: Die AfD sei besonders extrem. Ihr mache das Angst – auch, weil alles, was beim großen Nachbarn schief laufe, am Ende auch Schweden betreffe. Der Leitartikel beim Svenska Dagbladet hingegen hält es für unpraktisch, die Brandbauer gegenüber der AfD stur aufrecht zu erhalten. So oder so: Schweden beobachtet mit Interesse, ob es von Deutschland bald rechts überholt wird.
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