Aus Damaskus Serena BilanceriTypisch deutsch: Autos, Wurst und humanitäre Hilfe
Kaum ist man als Deutsche in Syriens Hauptstadt Damaskus in ein Taxi gestiegen, wabert schon die Frage, woher man komme, durch den Innenraum. Lautet die Antwort dann almanya, beginnt eine Flut an arabischen Komplimenten und Infos über nahe oder entfernte Verwandte, die in irgendeiner deutschen Stadt leben oder gelebt haben. Oder es wird nach Tipps für den ausreisewilligen Sohn gefragt, der Medizin studiert hat und sich in Deutschland spezialisieren will. Ob man sich nur ganz kurz mit ihm am Telefon unterhalten könne, um seine Sprachkenntnisse zu testen und die Chancen auf eine Unizusage zu besprechen.
Mehr als 850.000 Syrer*innen sind seit 2015 nach Deutschland gekommen – geflohen auf dem Landweg, dem Seeweg, in Zügen, in Schlauchbooten. Geflohen vor einem Konflikt, der 14 Millionen Menschen vertrieben hat. Nicht wenige sind bei ihrer Flucht gestorben, in überfüllten Kühllastwagen erstickt, im Mittelmeer ertrunken. Mehr als 80.000 Menschen hoffen noch auf einen Platz an der Sonne der Bundesrepublik. Deutschland spielt für Syrer*innen also durchaus eine Rolle.
„Das Image Deutschlands hat sich in den letzten Jahren positiv gewandelt“, sagt der 46-jährige Bühnenbilder Wissam Juomaa, der in Damaskus lebt. „Früher war das Wort ‚deutsch‘ eher mit Kälte und fehlender Empathie verbunden. Nach dem, was Deutschland dem syrischen Volk gegeben hat, konnten wir die Deutschen in einem anderen Licht sehen und die früheren Klischees überwinden.“ In der Tat verbinden viele hier Positives mit der Bundesrepublik. „Ingenieurleistungen höherer Qualität“, vor allem in der Autobranche, sagt der 34-jährige Kaufmann Mohamad Alhwari. Außerdem die starke Wirtschaft, Tugenden wie Disziplin und Effizienz. Humanitäre Hilfe wird ebenfalls genannt – oder auch Würste, Brot und ein Krug Bier auf dem Oktoberfest.
Obwohl die Industrie um Volkswagen & Co viel Begeisterung weckt, wirken einige Syrer*innen noch immer abgeschreckt von der deutschen Kälte, sowohl der winterlichen als auch der sozialen. Einer erwähnt sogar die Verspätungen der Deutschen Bahn, deren schlechter Ruf ihr offenbar bis nach Nahost vorauseilt. Ein anderer spricht von „Schäferhunden“, „Nazis“ und „Döner“.
Juomaa sagt, dass er an Deutschland schätzt, wie seine Einwohner*innen nach dem Mauerfall wieder zusammengefunden haben. Denn auch Syrien steht vor der großen Schwierigkeit, nach dem Sturz Assads wieder ein vereintes Land zu werden. Mit Blick auf die kommenden Wahlen, von denen hier nur wenige wissen, hofft mancher auf weitere Anstrengungen in Sachen Weltfrieden, auf stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Nahen Osten und eine faire Migrationspolitik. Manch Anderer blickt mit Sorge auf den Aufstieg rechter Parteien. Die meisten bleiben jedoch zuversichtlich, wie man es von einem Volk erwarten kann, das sich gerade aus einer 54-jährigen Diktatur befreit hat.
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