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Auftakt Frankfurter BuchmesseAusgerechnet China

Ehrengast ist die Volksrepublik China, die wegen ihrer Zensur in der Kritik steht. Aber es ist die richtige Entscheidung, sie einzuladen! Nun wird es darauf ankommen, was man daraus macht.

Im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse steht dieses Jahr die Volksrepublik China. Bild: dpa

Am Dienstag wird die Frankfurter Buchmesse eröffnet, und zwar feierlich - mit China als "Ehrengast". Warum ausgerechnet China, mag man sich fragen - ein Land, dessen Regierung Bücher und Internet zensiert, Autoren bedrängt und ins Gefängnis wirft? Ein Land, dessen Funktionäre in diesen Tagen nichts dabei finden, den Schriftsteller Liao Yiwu an der Ausreise nach Deutschland zu hindern?

Es war eine richtige Entscheidung. Was für eine großartige Gelegenheit, diesem komplizierten Reich der Mitte näherzukommen! Noch nie sind so viele chinesische Romane, Kurzgeschichten und Sachbücher ins Deutsche übersetzt worden. Noch nie sind so viele chinesische Verleger, Schriftsteller und Kulturfunktionäre aus der Volksrepublik gleichzeitig in Deutschland gewesen - ansprechbar vor ihren Bücherständen, in Diskussionsrunden und Seminaren.

Der Schriftsteller Yu Hua, dessen Buch "Brüder" gerade übersetzt worden ist, hat vor ein paar Tagen über seine bevorstehende Reise nach Frankfurt gesagt: "Ich wünschte mir, dass wir auf der Buchmesse nicht so viel über Politik, sondern über die Literatur reden." Damit hat er wohl der Mehrzahl seiner Kollegen aus dem Herzen gesprochen.

Doch der Wunsch Yu Huas dürfte nicht zu erfüllen sein. An dem, was in seinem Land geschieht, scheiden sich die Geister. Und die Frankfurter Buchmesse versteht sich als ein Forum, auf dem über alles gesprochen wird. China erfährt da keine andere Behandlung als andere Staaten der Welt. Unerwünschte Debatten haben die Vertreter früherer Gastländer wie Indien und die Türkei auch schon mal ausgehalten. Nun ist also die Volksrepublik an der Reihe. Daneben werden auch chinesischsprachige Autoren aus Taiwan oder dem Exil erwartet.

Gelegenheit zu Streit, Missverständnissen und gekränkten Gefühlen wird es in den nächsten Tagen zuhauf geben. Die Gründe sind vielfältig: Chen Danqing, ein chinesischer Autor und Maler, beklagt zum Beispiel das Fehlen einer echten Debatte über die Rolle der Literatur und über die Werke der chinesischen Schriftsteller. "Unsere Autoren sind es nicht gewöhnt, kritisiert zu werden", sagt Chen, "anders als prominente Autoren in den USA oder Europa sind sie nicht abgehärtet."

Hinzu kommt, dass die Gäste mit Themen konfrontiert werden, die in China in der Öffentlichkeit kaum kontrovers diskutiert werden können. Dazu gehören der Umgang Pekings mit den ethnischen Minderheiten ebenso wie das Tiananmen-Massaker 1989 oder die Inhaftierung von einem der Verfasser der "Charta 08", Liu Xiaobo.

Die chinesische Führung betrachtet den Auftritt in Frankfurt nicht nur als Gelegenheit für Verlagsgeschäfte, sondern auch als "Olympiade der Kultur". Sie will die Messe nutzen, China als modernes, weltoffenes Land mit alter Zivilisation zu präsentieren. Das will sie nicht allein den Autoren überlassen. Kein Geringerer als Vizepräsident Xi Jinping wird anreisen, der als künftiger Staats- und Parteiführer gehandelt wird.

Wie man es dreht und wendet: Die Buchmesse ist zu einer höchst politischen Veranstaltung geworden. Das darf nicht daran hindern, miteinander zu reden und sich zuzuhören. Im Gegenteil: Es ist höchste Zeit, so intensiv wie möglich über Literatur ebenso wie über Politik, über die Erfahrungen aus der Geschichte und die Wünsche für die Zukunft zu sprechen. Bleibt zu hoffen, dass die Ehrengäste "spannende und bereichernde Perspektiven" nach Frankfurt bringen, wie die Veranstalter es erwarten. Falls nicht, sind da immer noch ihre Bücher.

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2 Kommentare

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  • A
    anke

    Auf der Frankfurter Buchmesse wird nicht mehr und nicht weniger Politik betrieben, als auf der Beijing International Book Fair, schätze ich. Von der Buchmesse Peking ist hierzulande bloß nicht so oft die Rede. Wahrscheinlich aus politischen Gründen. Und irgendwie finde ich das seltsam. Das mit der Buch-Politik in Frankfurt, meine ich. Der "Westen" nämlich hält angeblich ganz besonders große Stücke auf seine "freie Wirtschaft". Und aus der Kultur, heißt es unisono im Brustton der Überzeugung seit Jahrzehnten immer wieder, hielte sich eine demokratische Politik grundsätzlich heraus. In Frankfurt sollten also eigentlich eher Linzenzen gehandelt werden als Weltanschauungen. Nebenher sollte höchstens noch über Literatur geredet werden. Nachdem aber Büchern das Leben von Menschen behandeln und die in Gesellschaften zu leben pflegen, scheint es vollkommen unmöglich zu sein, die beiden Postulate zur Realität werden zu lassen. Und überhaupt: Die Olympischen Spiele sind längst nicht mehr nur ein Politikum ersten Ranges (das waren sie als Ersatz kriegerischer Handlungen eigentlich schon immer). Sie mutieren auch immer mehr zum Wettstreit der Pharmafirmen. Darf da die Kulturolympiade des Xi Jinping ihnem großen Vorbild nachstehen? Vielleicht sollte man demnächst die Urinproben aller Schriftsteller (und natürlich auch die sämtlicher Verleger) auf harte Drogen untersuchen. Andere Mittel sind ja schließlich bisher nur den politischen Sportlern strengsten verboten.

  • S
    Schmidti

    China ist in vielerlei Hinsicht ist china demokratischer als Deutschland. Die Partei repräsentiert das gesamte Volk. huhn

    Ich habe zehn Jahre in Beijing gelebt. Die Leute sind überwiegend zufrieden.