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Archiv-Artikel

Aufschwungsgebete in Schweizer Bergen

Gestern ging in der Schweiz das 34. Weltwirtschaftsforum zu Ende. Clement prophezeite Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung und US-Vize Cheney dankt einzeln den Unterstützern des Kriegs. China empfiehlt sich als neue Wirtschaftsmacht

Von STG

BERLIN dpa/taz ■ Im Gegensatz zum letzten Jahr herrsche 2004 wieder „konjunktureller Optimismus“ unter den vereinten Polit- und Wirtschaftsgranden der Welt, schrieben die Schweizer Zeitungen zum 34. Durchgang des Davoser Weltwirtschaftsforums. Da durfte natürlich auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) nicht fehlen: Die Bundesregierung gehe davon aus, dass Deutschland schon bald wieder zur treibenden Wirtschaftskraft in Europa wird. „Ich bin da optimistisch. Wir werden mit den Reformen fortfahren und auch die Innovationskraft in Deutschland stärken“, sagte der Bundeswirtschaftsminister am Samstag in den Schweizer Bergen – und flog dann heim, um BA-Chef Florian Gerster zu schassen.

Für vollmundige Ankündigungen war Davos eben schon immer gut. „Wir müssen der Ideologie der Gewalt an der Wurzel begegnen, indem wir die Demokratie im gesamten Mittleren Osten und darüber hinaus befördern“, verkündete US-Vizepräsident Dick Cheney. Und dabei könne Europa helfen – ein Alleingang der USA sei jedenfalls nicht beabsichtigt, so Cheney, der jedes einzelne Land in Europa, Asien oder Lateinamerika aufzählte, das den USA im Irak und bei anderen Einsätzen geholfen hatte. „Amerika will alles, aber es will es nicht immer wieder allein machen“, meinte ein Beobachter aus dem „alten Europa“ zu Cheneys Rede, die Krieg als Mittel der Politik weiterhin für opportun hält: Die demokratischen Staaten sollten und müssten militärische Gewalt nutzen, um den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen, wenn diplomatische Bemühungen erfolglos blieben, sagte der US-Vizepräsident.

Widerstand gegen die Weltmacht USA regte sich darauf beim offiziellen Forum kaum, auch wenn die Neue Zürcher Zeitung über „pathetisch selbstgerechte Statements“ mancher US-Teilnehmer lästerte. Wirtschaftlich kündigten immerhin die asiatischen „Tigerstaaten“ an, dank erheblichen Wachstums in den kommenden Jahren der Weltmacht USA Konkurrenz machen zu wollen. China werde bis zum Jahr 2020 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stellen, erklärte der Berater des Präsidenten der Bank of China, Zhu Min. Das chinesische Bruttoinlandsprodukt werde dann bei vier bis fünf Billionen Dollar liegen, das amerikanische bei 14 bis 16 Billionen. Zhu räumte jedoch ein, wegen der weitaus größeren Bevölkerung in China werde das Pro-Kopf-Einkommen mit maximal 5.000 Dollar weiter auf einem relativ niedrigen Stand bleiben. Doch was heißt das schon, wenn Microsoft-Gründer Bill Gates glaubt, Chinas Bruttoinlandsprodukt werde das der USA in 20 Jahren überholen. „Es ist atemberaubend“, sagte Gates in Davos, „die ganze Welt wird reicher werden.“

Wenn davor nicht die Sorge um den niedrigen Dollarkurs und das US-Defizit kommt, die sich latent durch die meisten Fachforen des WEF zog. Übertriebene Euphorie herrschte jedenfalls nirgends in Davos, schon gar nicht beim Sorgenkind Welthandelsorganisation: „Die Nachrufe zu unserem Dahinscheiden sind völlig überzogen“, sagte WTO-Generaldirektor Supachai Panitchpakdi. Dass die Handelskonferenz von Cancún im September ohne greifbares Ergebnis blieb, sei jedenfalls „kein Scheitern“, so Panitchpakdi: „Wir hoffen weiterhin, dass wir die Probleme lösen und eine Zusammenarbeit zwischen den Industrienationen und den sich entwickelnden Ländern erreichen.“ Panitchpakdi forderte ein einjähriges Moratorium auf alle regionalen und bilateralen Handelsvereinbarungen, denn insgesamt 400 solcher Vereinbarungen außerhalb der WTO existierten bereits. Konkrete Reaktionen auf diesen Vorstoß gab es aber keine. Und so muss schon als Erfolg verbucht werden, dass sich am Rande des WEF auf Einladung des Schweizer Bundespräsidenten 19 Handelsminister getroffen hatten, um über das weitere Vorgehen zu beraten. STG