piwik no script img

AufruhrJessas, der Baselitz

■ Sein auf dem Kopf gemalter Heiland entzweit die Gläubigen in Luttrum

Ein bitterböser Streit entzweit seit nunmehr eineinhalb Jahren die Bewohner der 300-Seelen-Gemeinde Luttrum bei Hildesheim. Auslöser des Glaubenskrieges ist ein modernes Gemälde in der 94 Quadratmeter kleinen Kirche. Der „Tanz ums Kreuz“ des international ebenso bedeutenden wie umstrittenen Malers Georg Baselitz hat Gräben des Unverständnisses zwischen den Dorfkirchenbänken aufgerissen.

Denn seit November 1992 prangt neben dem Altar sechs Quadratmeter groß der nach Eigenart von Baselitz auf dem Kopf gemalte Jesus am Kreuz. Der im nahen Schloß Derneburg beheimatete Künstler, der sich selbst als „nicht religiös“ bezeichnet, schuf das Werk 1983. „Ich habe mich damals viel mit religiösen Themen beschäftigt“, so Baselitz. Pastor Dose erhielt das rund 500 000 Mark teure Bild als Schenkung für das Gotteshäuschen, das seit dem Abbruch der Kanzel eine „unschöne Stelle“ aufwies. Einzige Auflage: Ein angemessener Platz mußte es schon sein.

Kaum jedoch hatten weltlicher Kirchenvorstand und geistliche Kirchenführung dem Bild ihren Segen gegeben, gab es auch schon ersten Widerstand in der Gemeinde. Konservative Kirchgänger sahen eine „Kunstmafia“ am Werk, als der „Tanz ums Kreuz“ auch noch zur Altarwand werden sollte, und mobilisierten Gemeindeglieder – mit Erfolg.

Zunächst zeigte die Allzweckdrohung „Kirchenaustritt“ ihre Wirkung. Von Hannover aus machte sich Landesbischof Horst Hirschler auf den Weg, die verfeindeten Schäfchen zu beruhigen. Sein derzeit umgesetzter Vorschlag, den Baselitz für ein Jahr während Advents- und Passionszeit zentral hinter und sonst neben dem Altar zu plazieren, gilt in der Gemeide als erste Niederlage für die Kunstfreunde um Pastor Dose. Aus den Kirchenwahlen im Februar schließlich gingen zwei erklärte Gegner des umgedrehten Jesus als Sieger hervor und verdrängten die Befürworter aus dem Kirchenvorstand. Unterdessen füllte der „Tanz ums Kreuz“ die sonst karg besetzten Kirchenbänke.

Kirchenvorstand Heinrich Meyer aber will den Baselitz endgültig hinter dem Altar und aus dem Kirchentempel vertreiben. Zum Leidwesen Meyers bildet Luttrum aber mit dem benachbarten Ort Grasdorf einen gemeinsamen Kirchenvorstand. Das schwächt die Ablehnungsfront: „Wenn es hart auf hart kommt, werden wir da wohl unterliegen.“

Gerd Roth/dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen