■ Aufruhr nach Outing in Norwegens Christenpartei: Entweder ins Zölibat oder Rücktritt
Oslo (taz) — „Wir müssen als Christen akzeptieren, daß jemand so geboren ist. Aber wir können nicht akzeptieren, daß er eine solche Neigung auslebt.“ Die Botschaft des Ex-Parteivorsitzenden Kare Kristiansen unterschied sich nur in der Deutlichkeit von der der restlichen Parteiführung der Christlichen Volkspartei: Lebe im Zölibat oder lege dein Amt nieder. Vor diese Alternative sieht sich Anders Gasland gestellt, seit er etwas bislang für seine Partei Unerhörtes getan hat: Er outete sich selbst in einer populären TV-Talk- Sendung am vergangenen Samstag: „Ich bin schwul, lebe zur Zeit allein, möchte mich aber gerne verlieben und mit einem Mann zusammenleben.“ Anders Gasland, 24jähriger Medizinstudent, ist Vorsitzender des Jugendverbandes der Christlichen Volkspartei, Norwegens fünftgrößter Partei.
In Norwegen läuft derzeit eine Debatte über das Recht von Homosexuellen beiderlei Geschlechts zur Eheschließung. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt dem Parlament vor, und eine Partei versucht eine Verabschiedung mit immer neuen Winkelzügen zu verhindern: die Christliche Volkspartei. Vor diesem Hintergrund entschloß sich Anders Gasland zu seinem „Bekenntnis“. Die Reaktionen waren schlimmer als erwartet. Der allseits beliebte Jugendführer stand plötzlich im Abseits. „Er hätte den Mund halten sollen.“ – „Er ist eine Belastung für die Partei.“ – „Diese Art von Sexualität ist für mich wie Kleptomanie und Pädophilie.“ So lauteten nur einige Aussagen von Parlamentsabgeordneten der Christenpartei. Auch ein Bischof sah sich angesichts der Ungeheuerlichkeit von Gaslands Schritt gezwungen, sein Sexualleben einer Boulevardzeitung gegenüber zu enthüllen. Er, so Bischof Georg Hille, nach eigenen Angaben heterophil, hätte niemals Sex gehabt: „Es dreht sich hier um den Willen zum Verzicht.“ Besonders häufig zu hören war das Argument des Parteivorsitzenden Kjell Magne Bondevik: „Er hätte seine Neigung vor seiner Wahl offenbaren müssen.“ Etwas, was Anders Gasland überhaupt nicht verstehen kann: „Welcher Politiker stellt bei seiner Nominierung sein Sexualleben vor? Warum dann ich?“
Begrüßt wird Gaslands Schritt natürlich vom norwegischen Homosexuellenverband „Verband von 1948“. Dessen Informationssekretärin Mette Sörensen zur taz: „Ich finde es toll, was Anders gemacht hat. Gerade die Aufforderung seiner Partei an einen erwachsenen Menschen, seine ,Neigung nicht auszuleben‘, wird hoffentlich zu einer Diskussion über die Lebensbedingungen von Homosexuellen hier in Norwegen führen und vielleicht auch einige Grenzen aufreißen.“ Und es gab auch aus Kirchenkreisen eine andere Sicht der Dinge als die von Bischof Hille. Ola Steinholt, Bischof des Bistums Nord-Halogaland, forderte alle Schwulen und Lesben auf, sich nicht länger zu verstecken. „Ich hoffe“, so Trygve Natvig, Generalsekretär des Christlichen Studentenverbands, „der Bischof wird bei uns sein, wenn demnächst ganz viele Schwule und Lesben sich offen bekennen.“ Reinhard Wolff
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