: „Aufessen und erhalten“
Im Tierpark Arche Warder werden Haus- und Nutztiere erhalten, die ihre Existenz Züchtungen verdanken, aber dennoch vom Aussterben bedroht sind. Sie enden beim Schlachter. Kenner schwören auf den guten Geschmack der alten Rassen
VON MARTIN KALUZA
Eine Weide, auf der scheinbar ganz normale Rinder, Schweine, Pferde und Ziegen stehen: Doch das Vieh hier gehört seltenen Rassen an, die allesamt vom Aussterben bedroht sind. Susanne Kopte, die Pressesprecherin des Tierparks Arche Warder, sagt gleich zu Beginn eines Rundgangs: „Wir haben hier Tiere, die seltener sind als der Sibirische Tiger.“ Vom Altdeutschen Schwarzbunten Niederungsrind etwa gibt es weltweit nur noch 90 Tiere, 8 davon stehen in Warder. Von den 200 verbliebenen Poitou-Rieseneseln leben 5 in Warder. Von den 100 Bunten Bentheimer Schweinen sind es 13. Die Exoten sind unter uns.
Anders als der Sibirische Tiger oder das Nashorn sind die Tiere in Warder nicht deshalb bedroht, weil sie gejagt oder von der Zivilisation verdrängt werden. Im Gegenteil, als Haus- und Nutztiere verdanken diese Rassen ihre Existenz erst Zivilisation und Züchtung. Doch in den letzten fünfzig Jahren hat sich die Landwirtschaft verändert, und mit ihr die Anforderungen an die Tiere.
Die 130 Rassen, die in Warder überleben, waren nicht an die industrialisierte Landwirtschaft angepasst, die sich auf nur noch wenige Rassen beschränkt. In einem der Gehege steht das Schleswiger Kaltblut Fantasy, ein kräftiges Arbeitspferd. Mit schwerem Marschboden haben Schleswiger keine Probleme, und in der Großstadt zogen sie früher die Straßenbahnen. Die Rinder ein paar Koppeln weiter sehen von weitem aus wie die allgegenwärtigen schwarzbunten Kühe. Doch während ihre modernen Hochleistungsverwandten einseitig auf hohe Milchmengen oder auf Fleischproduktion getrimmt sind, wurden diese Rinder für beides gehalten. Und am Westfälischen Totleger lässt sich der Leistungsdruck der industrialisierten Landwirtschaft exemplarisch ablesen: Zu seinem Namen kam dieses Huhn, weil die Bauern einst befürchteten, mit der ungeheuren Menge von zweihundert Eiern im Jahr würde es sich irgendwann zu Tode legen. Heutige Hennen kommen auf dreihundert.
Und die Essgewohnheiten der Verbraucher haben sich geändert. Noch vor fünfzig Jahren war ein Schwein ein paar Rippen kürzer und hatte fetteres Fleisch als heute. Mehr Rippen wurden ihm angezüchtet, damit es mehr Koteletts gibt. Und fettes Fleisch ist nicht mehr gefragt. Die Folge: Vom Angler Sattelschwein, das in der Nachkriegszeit noch 15 Prozent des Schweinebestandes ausmachte, gibt es nur noch 200 Exemplare. Mit den alten Rassen geht nicht nur Kulturgut verloren, sondern auch ein wichtiger Genpool.
Auch die Arche Warder selbst hat zuletzt um ihre Existenz gerungen. 1989 hatte der Zoologe Jürgen Güntherschulze den Tierpark gegründet und war sogar bis auf die Robinson-Crusoe-Insel geflogen, um seltene Tiere zusammenzutragen. Allerdings kamen nie genug Eintrittsgelder zusammen, um den Betrieb auf Dauer zu erhalten. Als der Tierpark im vergangenen Jahr Pleite ging, wurde er von Greenpeace übernommen. Mit Heinz Laing hat er nun einen neuen Leiter, der aus der Landwirtschaft kommt, aber auch im Hauptstadtbüro der Umweltschützer Lobbyarbeit betrieben hat und Vorstand des Stromunternehmens Greenpeace energy war. Er hofft, dass die Hälfte der laufenden Kosten der Arche Warder von monatlich 35.000 Euro über Eintrittsgelder hereinkommt. Ein zweites Standbein sind Spenden, Förderer und Tierpatenschaften. Nicht zuletzt soll die Vermarktung der eigenen Tiere Geld in die Kassen bringen.
Der Tierpark ist der Kern eines Netzwerkes, das zuletzt ein wenig brachlag. Satellitenhöfe beteiligen sich am Ringtausch zur Züchtung oder nehmen Tiere der Arche Warder auf Dauer auf – zum Beispiel Englische Parkrinder, von denen der Tierpark die einzige Herde in Deutschland besitzt. Die 23 Tiere sind zur Sicherheit weit im Land verteilt. Sollte einmal eine Seuche ausbrechen, könnte es sonst passieren, dass auf einen Schlag der gesamte Bestand getötet werden müsste. Die Gast-Höfe werden mit Kälbern ausgezahlt.
Und die Tiere, die in Warder auf der Weide stehen, enden durchaus auch beim Metzger. Im Restaurant des Tierparks steht Fleisch aus eigenem Bestand auf der Karte. Im Souvernirshop soll es demnächst neben Postkarten mit den Fotos der Publikumslieblinge auch Salami und Schinken geben. „Das Motto der Nutztier-Arche lautet ‚Aufessen und erhalten‘“, sagt Susanne Kopte. Das klingt widersprüchlich. Doch eine freie Wildbahn, in der man die Tiere wieder aussetzen könnte, gibt es nicht. Sie zu erhalten bedeutet, sie wieder als Nutztiere zu etablieren.
Es trifft selbst das seltene Parkrind mit seinem schönen weißen Fell und den hübschen dunklen Zeichnungen um Augen und Nase. Denn zu der Herde gehören zehn Bullen. „Fünf reichen“, sagt Laing, „mehr bringen nur Unruhe in die Herde, deswegen nehmen wir die anderen vernünftigerweise heraus. Und die gehen dann den Weg zum Schlachter. Im Moment sind wir zwar froh, wenn wir die Tiere verkauft kriegen, die übrig sind. Doch wir wollen dahin kommen, dass wir Zuchttiere weiterverkaufen können, damit sich die Population weiter erhöht.“
Aus Sicht eines Bauern haben die alten Rassen durchaus ihre Vorteile: Sie sind durch ihre Fettschicht besser vor Kälte geschützt und können das ganze Jahr über im Freien gehalten werden. Sie sind weniger anfällig für Krankheiten und kommen mit weniger Medikamenten aus. Und auch der Geschmack der alten Rassen ist anders: Kenner schwören auf das marmorierte Fleisch etwa des Sattelschweins, in dem das Fett nicht weggezüchtet, sondern noch als Geschmacksträger enthalten ist. Im Moment allerdings sind die Bestände noch so gering, dass auch Biobauern noch die heute üblichen Hochleistungsrassen halten müssen.
In der Arche Warder allein lassen sich die Bestände nicht ausweiten, und auch eine artgerechte Haltung ist dort gar nicht möglich. An Bord der Arche müssen die Tiere zusammenrücken. Susanne Kopte blickt über die Koppel, auf der die Parkrinder stehen, und sagt: „Man mag sich damit trösten, dass die Tiere, die hier leben, sozusagen für ihre Artgenossen leiden, denen es einmal besser gehen soll.“