: Auf der Suche nach dem eigenen Tod
■ Neu im Kino 46: „Fluchtpunkt“ von Fernando Lopes, irgendwie sympathisch
Doppelgänger sind unheimlich. In der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts wimmelt es von traurigen Helden, die sich selbst als Fremde begegnen, gegen ihre Schatten kämpfen und von ihren Spiegelbildern vernichtet werden. Der italienische Schriftsteller Antonio Tabucchi führt dieses Genre mit modernen Mitteln weiter – in seinem Roman „Der Rand des Horizonts“ vermischt er es zum Beispiel mit dem romantischen Genre unserer Tage – dem „schwarzen“ Kriminalroman.
Da dieser aus der Tradition des „film noir“ schöpft, war die Verfilmung des Buches nur eine Frage der Zeit, und weil Tabucchi Lissabon liebt, bot er selber dieses Projekt dem portugiesischen Regisseur Fernando Lopes an. In dessen Film „Fluchtpunkt“ ging diese Rechnung aber nur zum Teil auf: Lopes gelingt es zwar eine durchgängig bedrohliche Stimmung zu schaffen, und manchmal sieht man auch ein nächtlich düsteres Lissabon, das einem wohlige Schauer über den Rücken jagt. Aber insgesamt bleibt die Inszenierung zu sauber und konventionell – so gibt es ein merkwürdiges Gefälle zwischen der Geschichte und den Bildern.
Claude Brasseur spielt den Pathologiegehilfen Spino, der eines Nachts in einem gerade erschoßenen Mann sich selber als über dreißig Jahre Jüngeren erkennt. Ein souverän fatalistischer Filmheld, der so schön durch die Straßen der Großstadt streunt wie Truffauts Pianist Charles Aznavour. Man folgt ihm gerne bei der detektivischen Suche nach dem eigenen Tod, und auch Andrea Ferreol als seine Freundin oder Ana Padrao als verruchte Prostituierte spielen ihre Rollen sympathisch und sind angenehm anzusehen.
Wirklich überzeugend sind sie aber nicht, denn sie scheinen noch zu sehr an den Fäden des Autoren zu hängen. Lopes hat nicht genug eigene Ideen, um einen filmischen Gegenpol zum Roman zu finden, und so ereilt auch diesen Film das Schicksal so vieler Adaptionen: er kommt zu literarisch daher – was sich so doppelbödig und originell liest, wirkt auf der Leinwand nur noch überladen, und der so klug ausgefeilte Plot ist im Film plötzlich allzu konstruiert.
Im Vergleich zu Alain Corneaus „Nächtliches Indien“, der kongenialen Verfilmung eines Buches von Tabucchi, merkt man, wie uninspiriert Lopes mit dem Stoff umgeht. Bei Corneau bleibt das Doppelgängermotiv die ganze filmische Reise über eine unheimliche Irritation, in „Fluchtpunkt“ kann man die Schlußpointe schon nach den ersten Minuten des Filmes erraten. Wilfried Hippen
Kino 46 / Do., Sa., Mo. und Di. 20.30 Uhr
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