: Auf Umwegen, unsicher und unbequem
■ Landespressekonferenz unterwegs: Mit dem Fahrrad auf Abenteuertour durch die Bremer Innenstadt / Im vergangenen Jahr nehr als 1.000 Fahrradunfälle / ADFC will gegen PKW-Strom schwimmen
Wer vom Dobben mit dem Fahrad zum Hauptbahnhof will, muß Zeit oder wenigstens Geduld haben. Acht Ampelanlagen gilt es zu passieren, die fast alle immer gerade rotes Licht zeigen. Wer vom Dobben per Fahrrad eiligst zum Bahnhof will, schert sich deshalb einen Dreck um Einbahnstraßen und das Rechtsfahrgebot und rast regelverstoßend und sich selbstgefährdend zum Ziel. Ziel war gestern morgen die Fahrradstation am Hauptbahnhof. Dort hatte sich die Landespressekonferenz zum Termin mit Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) verabredet, um gemeinsam Teile des innerstädtischen Radwegenetzes in Augenschein und unter die Reifen zu nehmen.
Fazit: Auch wer das Rotsignal ganz korrekt als Haltebefehl interpretiert und ständig vor unachtsamen Autofahrern auf der Hut ist, fährt gefährlich. Wie gefährlich, haben im vergangenen Jahr 1.296 RadfahrerInnen an Blech (349), Leib (947) oder Leben (4) erfahren. Und auch einen Kollegen hätte es gestern um ein Haar erwischt. „Ey“, rief er laut,
zornig aber vergeblich, als ein Lieferwagen den Radweg als Manövrierraum mißbrauchte. Da half nur noch ein schnelles Ausweichmanöver.
735 Kilometer lang ist das Radwegenetz in Bremen und Politiker leiten aus der Streckenlänge gerne die Behauptung ab: „Bremen ist eine radfahrerfreundliche Stadt.“ Daß einige Stellen, wie zum Beispiel der Verkehrsknotenpunkt Stern vorbildlich ausgebaut sind, leugnen auch der ADFC nicht, aber, so Vorsitzender Werner Hüller, „wir sind immer noch weit davon entfernt, sicher, bequem und ohne Umwege ein Ziel zu erreichen.“
Thema Sicherheit: Was nutzen die schönsten Radwege, wie zum Beispiel in der Parkallee, wenn lauffaule Autofahrer diese zu Parkplätzen umwidmen? Dann müssen die Radler sich notgedrungen in den fließenden Verkehr einordnen - eine der häufigsten Unfallursachen.
Thema Bequemlichkeit: Etwa 50 Prozent der Radwege sind in einem Zustand, der Reifen, Rahmen und Radlerhintern einem harten Stoßtest unterzieht.
Thema Umwege: Wer benutzt die schönen Radwege, wenn dies, wie an der Schwachhauser Heerstaße/Schleifmühle/Dobben eine knapp fünfminütige Wartezeit an diversen Ampeln bedeutet?
Was tun, um den Bremer RadlerInnen bei den etwa 80 Millionen Fahrradbewegungen pro Jahr (Verkehrszählung 1976) zu streßfreierer Teilnahme am Verkehr zu verhelfen? Die RadfahrerInnen, meint der ADFC, müssen raus aus dem Getto des eigenen Radweges. Die schnelleren FahrerInnen, die mit mehr als 15 Kilometer durch die Stadt brausen, seien auf den Straßen allemal sicherer aufgehoben, als auf den Radwegen, an deren Einmündungen Autofahrer in einer Tour die Vorfahrt mißachten. Zweiter Verbesserungsvorschlag: Die Einbahnstraßen sollten für Radfahrer aufgehoben werden, denn dem Gegner, den man Aug‘ in Aug‘ vor sich hat, „fährt man nicht über den Haufen,“ so ADFC-Fahrradberater Wolfgang Reiche. Doch an dieser Stelle versagt die Bremer Planungskompetenz: Solch umwälzend Neues müßte in der Straßenverkehrsord
nung festgeschrieben werden.
So bleibt der Stadtentwicklungsbehörde nur die Weiterentwicklung des bestehenden Netzes, und das wird dauern.
Schwachstellen, das weiß auch der zuständige Planer Heinz -Otto Mohrmann, gibt es in der ganzen Stadt, aber: „Ein Netz muß langsam wachsen.“
hbk
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