■ Auch Izetbegović erwägt nun eine Aufteilung Bosniens: Bosnier und Musliman
Ein zeitweiliger Rückzug von alten Positionen ist es gewiß, wenn Izetbegović nun andeutet, doch noch über die Aufteilung Bosniens sprechen zu wollen. Es ist sogar möglicherweise das Eingeständnis einer militärischen und geistigen Kapitulation. Der Druck, der sich aus der Verantwortung für das physische Überleben von fast zwei Millionen Menschen ergibt, ist zu groß geworden, als daß der Anspruch, Bosnien und die bosnische Idee wiederherzustellen, weiterhin die einzige realpolitische Option bleiben könnte. Izetbegović kann jetzt nicht mehr nur als Präsident Bosniens sprechen, er muß vor allem der muslimanischen Bevölkerungsgruppe, die von zwei Seiten, von den serbischen und den kroatischen Nationalisten, angegriffen und verfolgt wird, eine Atempause verschaffen.
In der Tat ist die Lage der bosnischen Gesellschaft in den von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebieten verzweifelt. Nicht nur, daß der militärische Druck gewachsen ist (in der Gegend um Maglaj operieren kroatische und serbische Verbände sogar koordiniert gemeinsam gegen die bosnische Armee), es ist vor allem der Hunger, der nun zu spüren ist, und der am Widerstandswillen nagt. Seit der Präsident der selbsternannten Republik Herceg-Bosna, Mate Boban, vor fast drei Monaten die Verbindungslinien zur kroatischen Küste abschneiden ließ, ist die Versorgung der Bevölkerung in ganz Zentralbosnien allein von der humanitären Hilfe der UNHCR abhängig. Und entgegen den Äußerungen und Resolutionen der großen Sieben in Tokio, die ja angeblich keine „politische Lösung gegen den ausdrücklichen Willen der bosnischen Regierung“ akzeptieren wollen, sind die Lebensmittellager der UNHCR leer, weil nicht einmal die EG ihre Lieferverpflichtungen einhält. Was sind aber politische Verlautbarungen wert, wenn in der Praxis die Waffe des Hungers eingesetzt wird, um Bosnien und damit Izetbegović in die Knie zu zwingen?
Auch im Innern dieses Rest-Bosniens haben sich die Akzente verschoben. Selbst wenn Politiker wie Außenminister Silajdzić oder der ehemalige Kroatenführer Klujić weiterhin vehement das multikulturelle Prinzip gegen den „Faschismus“ der Nationalisten verteidigen, so deuten die erstaunlichen Erfolge der bosnischen Armee in Mostar und Travnik auf eine neue Selbstdefinition vieler Muslimanen in der restbosnischen Gesellschaft hin. Seitdem der frühere Stabschef Halilović vor zwei Wochen abgelöst wurde, gehen gerade muslimanisch dominierte Truppenteile der bosnischen Armee nun auch mit Brutalität gegen die Zivilbevölkerung der „anderen“ vor. Der „Respekt“ auf dem Schlachtfeld ist ihnen damit bei den Mördern der Gegenseite gewiß. Doch die bosnische Idee wird durch diese Praxis zunehmend auch im Innern ausgehöhlt. Und nicht zuletzt dieser Umstand könnte für Izetbegović den Ausschlag geben, auf Verhandlungen bezüglich der Aufteilung Bosniens entlang ethnischer Linien letztendlich doch noch einzugehen. Erich Rathfelder
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