piwik no script img

Au-pair-Mädchen klagt Unternehmer an"Ausgenutzt, versklavt und geknechtet"

Jahrelang soll ein Windkraftunternehmer ein Au-pair-Mädchen ausgebeutet haben. Er bezichtigt die Frau der Lüge. Weil nur einer von beiden Recht haben kann, schaltet das Arbeitsgericht die Staatsanwaltschaft ein.

Will vor Gericht 100.000 Euro entgangenen Arbeitslohn einklagen: Tia H. Bild: Miguel Ferraz

Arbeitsrichterin Petra Kriens ist fassungslos: „Da deckt sich nichts in den Schriftsätzen beider Parteien, unstrittig ist nur, dass die Herrschaften sich kennen.“ Dass der Gütetermin, den sie an diesem Donnerstagmorgen angesetzt hat, zu keiner Einigung führen wird, ist der Juristin schon klar als sie den Verhandlungssaal betritt.

Und noch eines weiß sie nach Lektüre der Klageschrift und ihrer Erwiderung: Diese arbeitsrechtliche Auseinandersetzung wird ein strafrechtliches Nachspiel haben. „Eine Partei lügt hier dermaßen, dass sie Prozessbetrug begeht. Die Sache geht an die Staatsanwaltschaft.“ Auch der Beklagte, der Windkraftunternehmer Till H., wird noch während der Verhandlung ankündigen, gegen die Klägerin Strafanzeige zu stellen.

Wer lügt, wer spricht die Wahrheit, wer ist Opfer wer Täter? Die Auseinandersetzung spielt in einem Arbeitsbereich, in dem es kaum Zeugen von außen gibt, Behauptungen nur schwer zu widerlegen oder zu beweisen sind: Im Bereich der häuslichen Arbeit.

80 Stunden pro Woche

Die Klägerin, die aus Indonesien stammende Tia H. will als Au-pair drei Jahre lang bei Till H. geputzt und später sein Kind betreut haben, rund um die Uhr bis zu 80 Stunden pro Woche. Als Lohn habe sie nur ein Taschengeld erhalten, erst 400, später 700 Euro pro Monat. Als sie dann mit ihrem Sohn Jannik im siebten Monat schwanger war, habe ihr Chef sie vor die Tür gesetzt. Er habe den Schlüssel zu seinem Büro, in dem sie auch gewohnt habe einfach ausgetauscht und ihr nicht einmal gekündigt.

Insgesamt fordert Tia H. von ihrem Ex-Chef nun einen entgangenen Arbeitslohn von rund 100.000 Euro. Im Prozess wird die heute 32-Jährige vom Berliner Menschenrechts-Institut und dem Hamburger Verein Verikom unterstützt. Sie sehen in der Geschichte einen Fall, der stellvertretend für die Situation vieler Arbeitsmigranten stehe, gerade im Bereich der häuslichen Hilfe. „Das Verfahren soll anderen Migranten in einer ähnlichen Situation Mut machen, ihre rechtmäßigen Ansprüche einzuklagen“, hofft Mónica Orjeda von Verikom.

Für Till H. sind die Behauptungen seiner ehemaligen Haushaltshilfe „an Schamlosigkeit nicht zu überbieten.“ Dass er als jemand dargestellt wird, der seine ehemalige Bedienstete „ausgenutzt, versklavt und geknechtet“ habe, sei „unerträglich“. Der Windkraft-Unternehmer aus Schleswig-Holstein hat einen Ruf zu verlieren. Und so inszeniert er sich vor Gericht als Gutmensch, der „nur helfen wollte“. Dann berichtet er wie er Tia H., die „mein Vertrauen erschlichen hat und quasi zur Familie gehörte“, kostenfrei ein Zimmer überließ, über 8.000 Euro für ihre Zahnbehandlung bezahlte, ihre Studiengebühren und ihre studentische Krankenversicherung beglich und ihr für 5.000 Euro noch einen einjährigen Deutschkurs, der täglich fünf Stunden beanspruchte, spendierte.

Aussage gegen Aussage

Noch im vergangenen Mai habe er „Dankbarkeits-SMS“ von der Indonesierin erhalten, die Nachricht, dass sie ihm nie vergessen werden, was er alles für sie getan habe. „Mir ist oft in meinem Leben geholfen worden, das wollte ich weitergeben“, beschreibt Till M. seine Motivation.

Auch habe er Tia H. im vergangenen Jahr nicht hochschwanger auf die Straße gesetzt, sondern sie sei plötzlich einfach nicht mehr aufgetaucht. „Ich habe sogar die Polizei informiert, weil ich mir Sorgen gemacht habe“, sagt der Windkraft-Unternehmer. Und als er Vater einer Tochter geworden sei, habe Tia H. mitnichten das Kind rund um die Uhr betreuen müssen. „Die Mutter hat nicht gearbeitet, ich bin in Teilzeit gegangen um mich zu kümmern und zudem hat uns noch eine Bekannte regelmäßig ausgeholfen – da blieb an weiterem Betreuungsbedarf nicht mehr viel übrig.“

Aussage gegen Aussage – wer lügt, muss jetzt die Staatsanwaltschaft ermitteln. Ob sie bis zum 6. August, wenn Richterin Kriens die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung entscheiden will, schon Ergebnisse vorlegen kann, bleibt abzuwarten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • JM
    J. Murat

    @ "boiteteufel":

    Hinzu kommt, dass die Gastfamilie im Falle einer Aufenthaltsverlängerung für den Gast bürgen muss. Das bedeutet, dass der Gast z.B. ausziehen und Hartz IV beantragen kann was dann letztlich der Familie in Rechnung gestellt wird. Ich fälle kein Urteil, aber wie die Richterin bereits festgestellt hat stimmt hier einiges nicht.

  • B
    Boiteltoifel

    Ausländerrechtlich geht der Bericht gar nicht! Entweder ist die Frau (als Indonesierin) für ein Jahr als Au-pair in Deutschland (Höchstaufenthaltsdauer für diese Tätigkeit. Die Arbeitsbedingungen sind fest geregelt!) und muß dann wieder ausreisen, weil das Arbeitsamt der Verlängerung der Arbeitserlaubnis nicht zustimmt und die Ausländerbehörde entsprechend auch keine Aufenthaltserlaubnis ausstellt.

    Oder sie hat eine Aufenthaltserlaubnis als Studentin (was ich dem Bericht zu entnehmen glaube), dann kann sie kein Au-pair mehr sein, darf aber 120 ganze oder 240 halbe Tage im Jahr arbeiten. Die Arbeitsbedingungen werden dann von keiner Behörde überprüft.

    Viele Familien ermöglichen ihren ehemaligen Au-pairs das Studium, in dem sie die jungen Leute weiterhin bei sich wohnen lassen, häufig sogar für deren Unterhalt bürgen und dafür arbeiten die Studenten als Haushaltshilfe (vgl. recht umfangreichen Artikel bei Wikipedia! http://de.wikipedia.org/wiki/Au-pair )

  • WB
    Wilma Brosowsky

    Welch mutige Richterin!

    Klägerinnen aus häuslichen Beschäftigungsverhältnissen können sich nur zu gut auf den 'Opfer-Bonus' (sorry für den Ausdruck) vor Gericht verlassen. Und Anwälte schrecken nicht davor zurück, Arbeitszeiten von 12 Stunden täglich und unangemessene Referenzsysteme zur Lohnermittlung vorzutragen.

    (Eine Leidtragende eines derartigen Verfahrens)

  • S
    Sebastian73

    Ich hoffe doch, der Beschuldigte heißt nicht wirklich Till H., den n die Überschrift dieses Artikels suggeriert die vollendete und vor allem bewiesene Tat und steht im krassen Gegenteil zum Inhalt des Artikels, nach welchem scheinbar nichts bewiesen ist. Unabhängig davon, ob sich die schlimmen Vorwürfe erweisen, kann man doch wohl nicht schon jetzt kaum eine Überschrift wählen, die suggeriert, es sei alles so geschehen, wie die Klägerin das behauptet. Nach einem Prozess mag man solche Überschriften verwenden, aber doch wohl nicht schon, bevor in die Beweisaufnahme eingestiegen wurde.Liebe Herren Journalisten, auch wenn ihr Eure Artikel mitunter reißerisch verkaufen müsst, um Geld zu verdienen, denkt immer daran, was ihr auch anrichten könnt, wenn Ihr einen möglicherweise Unschuldigen trefft.