: Attacken gegen Vobo–Gruppen
■ Justizminister Engelhard: Boykottaufruf „unerhört“ / Polizei löst Infostand auf / Staatsanwalt ermittelt gegen Grüne / Schily distanziert sich / Maßnahmen gegen zählungsunwillige Beamte
Berlin (taz/dpa) - Nach vergeblichen Überzeugungsversuchen von Seiten der Statistiker schlagen Politiker und Justiz jetzt eine harte Gangart gegen Volkszählungsboykotteure ein. In Solingen wurden am Wochenende erstmals Flugblätter einer Vobo–Gruppe beschlagnahmt. Der Informationsstand der Gruppe in der Solinger Innenstadt wurde von der Polizei aufgelöst. Gegen vier Mitglieder der Vobo– Initiative wurden Ermittlungen wegen Aufrufens zu einer Ordnungswidrigkeit (§ 116 Ordnungswidrigkeitengesetz) eingeleitet. Der Informationsstand der Solinger Initiative gegen die Volkszählung war vom örtlichen Tiefbauamt unter der Auflage genehmigt worden, daß das Wort „Volkszählungs–Boykott“ auf einer Stelltafel durchgestrichen werden müsse und man über den Grund des Durchstreichens nicht informieren dürfe. Am Freitag war der Info–Stand unbehelligt geblieben, am Sonnabend griff dann die Polizei ein. Auf Veranlassung von Bundestagspräsident Jenninger ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Bannmeile und einer Ordnungswidrigkeit gegen die Fraktion der Grünen; ihre Mitglieder hatten zur Eröffnung des Bundestags ein Transparent und Anstecker mit der Aufforderung zum Volkszählungsboykott getragen. Nachdem sich schon Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann gegen diese Demonstration verwahrt hatte, „wetterte“ jetzt auch Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) in einem Interview in Springers „Berliner Morgenpost“ gegen die Grünen. Engelhard nannte den Boykott–Aufruf der Grünen einen „unerhörten und einmaligen Vorgang in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik“. Der Aufruf sei „undemokratisch und rechtsstaatswidrig“. Entgegen aller bisheriger Äußerungen drohte Engelhard am Schluß seines Interviews zählungsunwilligen Beamten disziplinarische Maßnahmen an. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen, Otto Schily, hat sich unterdessen in einem Rundfunk– Interview von dem Boykott–Aufruf seiner Partei distanziert. „Ich bin etwas reserviert in der Frage, ob wir als Parlamentarier zu einem solchen Boykott auffordern sollten“, meinte Schily. Auch die neue Bundestagsabgeordnete der Grünen, Trude Unruh, kritisierte den Boykott–Aufruf auf dem Transparent der Fraktion der Grünen. Ihrer Meinung nach sei eine Parole „Anstatt Volkszählung Volksentscheide“ geplant gewesen. Ve.
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