■ Britischer Privatisierungswahn: Atombunker im Sonderangebot
Dublin (taz) – Der Privatisierungswahn der britischen Regierung kennt keine Grenzen. Hat man sich bisher darauf beschränkt, mehr oder weniger nützliche Dinge und Dienste zu verscherbeln, um die marode Staatskasse aufzubessern, so sind nun die unterirdischen Immobilien dran: Großbritanniens Atombunker. Da das Programm der Zivilverteidigung aus Geldmangel eingestellt wird, gibt es für die Bunker keine Verwendung mehr. Ihre Anzahl und Lage will das Innenministerium noch nicht verraten. „Die Information ist nach wie vor geheim“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. „Natürlich werden wir den Leuten Einzelheiten verraten, wenn wir die Dinger verkaufen.“ Bisher weiß man nur, daß es ungefähr 20 davon gibt. Ihr Bau hat mehrere Millionen Pfund pro Stück gekostet. Sie sind mit Chemieklos, Lebensmitteln und Mikrowellensendern ausgerüstet und bieten jeweils Platz für einen Minister und 800 außergewöhnliche Menschen, die von der Regierung ausgewählt wurden, um das Überleben der Nation zu sichern. Das Ende des kalten Krieges hat dieses Hintertürchen, mit dem sich die Politiker offenbar gegen die Auswirkungen ihrer eigenen Politik absichern wollten, jetzt verschlossen. Wem aber kann man die Atombunker andrehen? Einer der Zivilverteidiger schlug vor, Pilze darin anzubauen, schränkte aber ein: „Leider läßt sich nur eine bestimmte Menge von Pilzen verkaufen.“ Sein Kollege kam auf die glänzende Idee, die Dächer abzumontieren und die Bunker in Swimmingpools zu verwandeln. Vielleicht könnte man sie ja auch nach Cumbria schaffen und in der Umgebung der Plutoniumschleuder Sellafield versenken, um die Überlebenschancen der dortigen Bevölkerung zu erhöhen.
Sind die Verwendungsmöglichkeiten für die Atombunker bereits begrenzt, so ist das landesweite Warnsystem praktisch unverkäuflich. Es umfaßt 5.600 Sirenen, die im Notfall einen vierminütigen schrillen Warnton ausstoßen. Allein ihre Wartung kostet drei Millionen Pfund im Jahr. Die meisten sind auf den Dächern von Polizeirevieren angebracht, aber auf dem Land gibt es auch mobile Versionen, die meist unter dem Kneipentresen aufbewahrt werden. Für den Land-Bobby war die jährliche Überprüfung dieser Sirenen zweifellos das Glanzlicht im Arbeitsalltag. Aus und vorbei. Doch wo kann man die privatisierten Höllenlärmgeräte einsetzen? Als Wecker für Morgenmuffel? Wohl kaum. Vielleicht im Kanaltunnel zur Abschreckung von Füchsen und Hasen aus Frankreich, damit Großbritannien tollwutfrei bleibt? Das würde vermutlich auch das Passagieraufkommen beeinträchtigen. Das Innenministerium hat bisher jedenfalls keine Ahnung, was aus den Sirenen werden soll: „Wenn jemand eine Idee hat, würden wir sie gerne hören“, hieß es am Mittwoch. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen